Zukunftsmusik mit Künstlicher Intelligenz – Was ist zu Coronazeiten im Rechtswesen möglich?

Zukunftsmusik mit Künstlicher Intelligenz – Was ist zu Coronazeiten im Rechtswesen möglich?
Von Ana Nicolasa Caduff

Im heutigen Zeitalter nehmen Einsatzbereiche der Künstlichen Intelligenz an besonderer Bedeutung zu. Doch im Jahr 2020 ist nicht nur KI ein weltbewegendes Phänomen, welches die Menschheit und dessen Umgebung neu erfindet, so sind zu Zeiten des Covid-19 Veranstaltungen auf neue Formate angewiesen. An der Artificial Intelligence (AI) for business Konferenz vom 26. März verschmolzen gleich zwei komplementäre Welten ineinander: So wurde die ursprünglich geplante Konferenz komplett online und mit Expertenwissen aus dem Bereich Künstliche Intelligenz angeboten.

Nachhaltigkeitscodex durch Algorithmen analysieren

Mit seinem Einstiegsreferat «Wie AI hilft, nachhaltige Unternehmen zu identifizieren» führte Pascal Wyss den Online-Teilnehmern schrittweise ein Use Case zu analysierten Verhaltenscodexen vor Augen. Infolge der gestiegenen weltweiten Nachfrage nach transparenten Nachhaltigkeitsinformationen und Nachhaltigkeitsindexen ist die Menge der verfügbaren Daten über die letzten Jahre enorm angestiegen.

Im Zentrum der Nachhaltigkeitsindexe stehen grosse börsennotierte Unternehmen und der wachsende Berg an verfügbaren Nachhaltigkeitsdaten. Analysten, die diese kontinuierlich aktualisierten Informationen auswerten, sind mit steigenden Datenvolumen und Datensätzen konfrontiert. Diese Daten tauchen in einem unstrukturierten Format auf: Daten, welche nicht in einem klassischem Excel Format sortiert sind, sondern genau unstrukturiert angeordnet sind. So werden laufend Berichte publiziert, die eigene Corporate Language verwenden, welche beispielsweise tendenziell mehr mit visuellen Elementen arbeiten. Diese industrieabhängigen Individualisierungen sind in unstrukturierten Formaten anzutreffen. Die Herausforderung liegt nicht nur in der zunehmenden Verfügbarkeit von grossen Datensätzen, sondern auch der Anwendung neuer Technologien um komplexe und arbeitsintensive Verarbeitung sowie Analyse möglich zu machen.

Das Praxisbeispiel «Verhaltenscodex der angesammelten Datenmenge» verdeutlicht, wie Herkömmliches optimiert oder verbessert werden kann, und neue Prozesse automatisiert oder ersetzt werden können. Eine kontinuierliche Änderung, insbesondere im Hinblick auf die Bereinigung und Prüfung der Daten, ist von besonderer Bedeutung bei Projekten mit AI Technologien.

Der juristische Kernbereich ist (noch) kein Plug and Play Setup für KI Anwendungen

«Der Kernbereich der juristischen Arbeit wurde bisher nicht tangiert», meint Ioannis Martinis, «…neue Technologien werden diese Kernbereiche durchaus angreifen.» Doch welchen Impact werden diese KI Anwendungen auf die Arbeit der Juristen haben?

Seit 40 Jahren beschäftigt sich Rechtsschutzexperte Ioannis Martinis mit dem Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz im Rechtsmarkt. Den Fuss in diesem Bereich zu fassen ist herausfordernd: Eigene juristische Lösungen für KI-Expertensysteme zu entwickeln, ist zu diesem Zeitpunkt noch ein weitgehendes Wunschdenken geblieben. Ioannis Martinis präsentiert in seinem Referat, wo sich KI in der Rechtsberatung bemerkbar macht und zeigt dies anhand von drei Feldversuchen der Coop Rechtsschutz auf. Der Einblick in drei Projekte illustriert Beispiele der Natural Language Preprocessing (NLP) Technologie teils implementiert in Chatbot Funktionen, sowie semantische Netzwerke.

Aus definierten Bedürfnissen der Coop Rechtsschutz Kunden wurde in Zusammenarbeit mit IBM der Blitzbot ins Leben gerufen. Dabei kristallisierten sich drei grosse Herausforderungen: 1. Reglementierung; 2. Beschaffung von Daten und Datenmenge; 3. Komplexität der menschlichen Sprache. Dabei gilt, dass grundsätzlich in der Schweiz keine Reglementierung existiert, wenn jemand Rechtsberatung erteilen mag. (vgl. Art 68 ZPO) Datenschutz und Anwaltsgeheimnis erschweren es eine grössere Ansammlung an Fällen zu beschaffen. Um diese Datenmenge-Hürde zu umgehen hat die Coop Rechtschutz 40’000 interne Fälle anonymisiert. Der dritte Punkt, eine klare Kommunikationssprache zwischen juristischen Argumenten und dem menschlichen Denken, ist jedoch die grösste Herausforderung zum jetzigen Zeitpunkt.

Der zweite Feldversuch richtete sich an zirka 5 Mio. Erwerbstätige in der Schweiz. Es gibt ungefähr 100’000 Personen, die pro Jahr die Arbeitsstelle wechseln und somit Anspruch auf ein Zeugnis haben. Aufgrund dessen wurde die Plattform «Arbeitszeugnischeck» entwickelt, welche Sätze und Paragraphen als positiv, kritisch oder negativ bewertet. Die grösste Schwierigkeit war es die individualisierte Arbeits- oder Personenbeschreibung differenzieren zu können. Zudem beinhalten die ausgestellten Zeugnisse oftmals klassische Floskel, welche für die Erwerbstätige teils schwierig in der Individualität zu beurteilen sind.

Das dritte Beispiel greift wieder auf eine Chatbot Funktion zurück: In Zusammenarbeit mit Gradual Consulting wurde «Dentabot» umgesetzt. Dieses Tool kann eine rechtliche Beurteilung von Kau- und Zahnschadenfällen vornehmen und eine Rechtsauffassung darüber abgeben, ob diese durch eine Unfallversicherung abgedeckt sind oder nicht. Die Software versteht den eingegebenen Text, basierend auf NLP Technologie, indem sie sowohl Text als auch gemischte Daten in ein semantisches Netzwerk umwandelt. Somit können Kunden eine juristische Ersteinschätzung in Anspruch nehmen und dadurch leichter den Zugang zum Recht finden.

Alle drei Feldversuche zeigen eine wichtige Erkenntnis: Der Kunde möchte nicht, dass Juristen ihre Arbeit wie im letzten Jahrhundert erledigen. Hier kommt die Technologie zum Einsatz, damit dies nicht geschieht. Trotzdem ist die ganze Situation noch nicht ein Plug and Play Setup. «Diese [AI] Tools zu entwickeln ist noch eine komplexe und mühselige Arbeit.», so Ioannis Martinis. Gemäss ihm bewegen wir uns hier in einem Feld des «Computational Model of Legal Reasoning». Das heisst es entsteht eine Sachverhaltsanalyse durch eine Maschine und diese bestimmt den Ausgang des Verfahrens. Der Kern der juristischen Arbeit wird hier tatsächlich tangiert. Juristen müssen prüfen wie der Sachverhalt aussieht, wie die Rechtslage ist und anhand dieser Paramater den Fall klassifizieren. Mit den vorherigen Beispielen wird aufgezeigt, wie eine Unterstützung bei der juristischen Analyse des Falles aussieht, aber auch wie eine schnellere, noch exaktere Bearbeitung des Rechtsfalles erzielt werden kann. KI trägt nicht nur das Element der Disruption in sich, sondern auch die Befähigung für unser Wissen mit Technologien neue Konzepte zu erarbeiten die es früher noch nicht gab.

Eindrücke zur Konferenz, die nur im online Format durchgeführt werden konnte

Ein komplett neues Format dieser digitalen Konferenz wurde mit zahlreichen Workshops, Keynotes und Sessions + Q&As angeboten. Die Teilnehmer gelangten durch einen privaten Link zum direkten Video Stream, welcher jeweils erst kurz vor Startbeginn aufgeschaltet wurde. Somit konnte das Time Management des Ablaufes ausserordentlich gut koordiniert werden. Unter anderem wurde ein virtueller Networking Space mittels eines persönlichen QR Codes angeboten, dabei kann der Code dank der heutigen integrierten Technologie kinderleicht in jeder Handykamera eingescannt werden. Während des ganzen Tages wurde, dank dem digitalen Networking, eine Interaktion zwischen den Teilnehmer kreiert. Das Network Matching Tool wurde von bsistudio zur Verfügung gestellt, welches die Top drei passenden Networking-Partner an der ai-zurich auflistete. Dieses Swipe-Matching Verfahren wurde nach einem sehr kurzen Fragebogen ausgewertet, wobei konferenzspezifische Fragen wie: «KI oder AI?», sowie persönliche Fragen mittels Ja/Nein: Sind sie eine Outdoor Person? Mögen Sie Lakritze? Gestellt wurden. Für die Workshops wurden auch andere Softwares wie Microsoft Lync eingesetzt.

Zu guter Letzt: die unvermeidbaren technischen Probleme, wie in den beiden Screenshots ersichtlich, sind die Fazits eins überlastenden Netzwerks und Teil unseres Alltages im Home- Office geworden. Abschliessend von der Autorin ein kleiner Tipp: wer sich in solcher Situation aufhält, hilft es den Browser zu wechseln oder «worst-case Szenario» den Rechner ganz neu zu starten.

Alle Bilder sind Screenshots der Online Konferenz ai-zurich.
Autorin: Ana Nicolasa Caduff, ananicolasa.caduff@hslu.ch

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