Krank im Kopf – Teil 4

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Wusstest du, dass rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz an einer psychischen Krankheit leiden? Das betrifft rund jedes fünfte Kind resp. Jugendlicher. Ich wusste es bis zu meinem vierten Blogbeitrag nicht. Heute gebe ich euch einen Einblick in die Welt der verletzlichsten und schwächsten unter uns, jenen Kindern und Jugendlichen, welche vom Schicksal getroffen wurden und mit einer psychischen Krankheit leben müssen. Weiter gebe ich einen Einblick wie Eltern damit umgehen, wenn ihr Kind an einer psychischen Krankheit leidet.

Psychische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen

Ja, es gibt sie auch bei Kindern. Krankheiten wie Depressionen oder Schizophrenie betreffen nicht nur Erwachsene. Nein, es gibt keine Trennlinie, welche beim 18. Lebensjahr gezogen wird. Genau so wie Erwachsene können Kinder und Jugendliche an Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder Psychose erkranken.

Es kann dann zu verheerenden Aussagen wie «das ist ja nur die Pubertät» kommen. Genauso wie bei einem körperlichen Leiden ist die Früherkennung bei psychischen Krankheiten wichtig.

«Es ist eine Ignoranz der Bevölkerung, zu denken, dass ein Knochen zwar brechen, das Gehirn aber nicht krank werden kann.»
(Dr. Georg Berger, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich)

Gerade die Depression ist die Erkrankung, welche am meisten Jugendjahre frisst. Gemäss Dr. Georg Berger von der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich verlieren heute mehr Jugendliche gesunde Lebensjahre an einer Depression statt an Krebserkrankungen oder Diabetes. Diese Dimension muss man sich erstmal vorstellen. Es ist wichtig das diese Themen diskutiert werden, und zwar in der Schule, in der Politik und in der Gesellschaft.

Jugendliche und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Wie bereits in meinem zweiten Blogbeitrag geschrieben, gab es durch Corona eine deutliche Zunahme von psychiatrischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen. Doch mal abgesehen von Corona, warum ist es gerade in der heutigen Zeit für Kinder und Jugendliche so schwer und die Belastung durch psychische Krankheiten nehmen zu?

Ein Teil hängt damit zusammen, dass die Phase der Jugend deutlich länger geworden ist als noch vor 80 Jahren. Damals nach dem zweiten Weltkrieg war die Pubertät für viele mit 20 abgeschlossen. In diesem Alter hat man bereits geheiratet und ein eigenständiges Leben geführt. Dagegen fängt die Pubertät heute um einiges früher an. Sie beginnt mit dem 10. Lebensjahr und dauert bis zum 30. Lebensjahr. Das ist deutlich länger als früher und führt zu vielen Problemen. Zum einen ist man viel länger abhängig vom Elternhaus und zum anderen brauchen sie viel mehr Zeit, um die Anforderungen des Erwachsenenwerdens zu erfüllen. Ein weiteres grosses Problem ist unsere Leistungsgesellschaft. Bereits in allen Lebensbereichen nimmt der Druck zu. Nicht nur in der Schule. Generell haben Kinder kaum mehr die Möglichkeit, einfach zu sein. In allen Lebensbereichen wird heute Leistung erwartet. Neben der Schule braucht es heute oft auch im Sport oder im Musikverein das Bestehen eines Leistungstests. Dies löst bei Kindern und Jugendlichen einen zusätzlichen Stress aus.

Ein weiterer Faktor spielt der Medienkonsum. Dieser kann bis zum Schlafentzug und Suchtverhalten führen. Durch den gestiegenen Medienkonsum haben sich in den letzten zehn Jahren auch die Rollenvorbilder verändert. Statt dem drei Jahre älteren Junge aus dem Fussballtraining oder der 4 Jahre älteren Reiterin auf dem Bauernhof, sind es heute Influencer aus den sozialen Medien, welche unrealistische Ziel vorgeben.

Wie sollen Eltern damit umgehen?

Bei Eltern stellt sich schnell die Schuldfrage. Was haben wir falsch gemacht? Warum ist mein Kind depressiv? Es handelt sich dabei aber um die falsche Frage, da sie niemanden weiterbringt. Oft gibt es im Leben Situationen, wo die Eltern nichts dafür können. Dazu gehört zum Beispiel der Jobverlust oder wenn sich Eltern entlieben und es zur Trennung kommt. Die richtige Frage lautet also nicht, was habe ich falsch gemacht, sondern was kann ich machen, dass sich das Kind trotz schwieriger Umstände gut entwickeln kann?

Dazu benötigt es eine ständige Präsenz und eine gute Beziehung zum Kind. Das bedeutet, das Kind wirklich hören und sehen. Leider haben die Eltern heutzutage so einen grossen Stress, dass sie die Kinder gar nicht mehr wahrnehmen. Damit sich ein Kind gut entwickelt, sind Strukturen enorm wichtig. Gerade junge Eltern haben hier sehr Mühe. So lassen Sie ihr Kind bis elf Uhr gamen oder fernsehen, statt dieses um acht Uhr ins Bett zu bringen.

Als Eltern ist es wichtig ihren Kindern eine gesunde Lebensstruktur zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um einfache Handhabungen wie in der Nacht schlafen, tagsüber aktiv sein, mit Gleichaltrigen interagieren, rausgehen, spielen, Streit austragen oder selbst etwas schaffen.

Wichtig ist auch, dass Eltern schnell reagieren und Hilfe holen, wenn sie bei den Kindern einen Lebensknick bemerken, den sie sich nicht erklären können. Zum Beispiel wenn das Kind seine Hobbys vernachlässigt, es nicht mehr in die Schule will, schlecht oder gar nicht schläft oder man nicht mehr an das Kind herankommt. Dann ist es wichtig, rasch zu reagieren und Hilfe zu holen. Ein erster Schritt ist es mit wichtigen Ansprechpersonen das Gespräch zu finden und herauszufinden, ob auch sie Veränderungen beobachtet haben. Das können Lehrer, Schulsozialarbeiter oder Trainer im Fussballclub sein. Der nächste Schritt ist der Besuch beim Haus- oder Kinderarzt. Mit diesem wird besprochen, ob es eine psychologische Fachperson braucht.

Behandlung von Depressionen bei Kindern

Die Behandlung von Depressionen bei Kindern unterscheidet sich nicht gross von derer bei Erwachsenen. Ein erster Schritt ist das Treffen von strukturellen Massnahmen. Mit diesen soll das Verhalten des Kindes verändert werden. Das Kind lernt in dieser Zeit wieder richtig zu schlafen, tagsüber aktiv zu sein, regelmässig Sport zu treiben und zu interagieren. Unter anderem ist die Regulierung des Medienkonsums in dieser Phase oft ein Thema.  Falls ein Drogenkonsum besteht, dann wird auch hier entsprechend mit einer Regulierung gehandelt. Gerade bei Jugendlichen schaut man sich den Freundeskreis genau an und überlegt, ob dieser einem wirklich guttut. Ein weiterer Bestandteil der Behandlung ist die Psychotherapie. Dabei unterscheidet sich die Gesprächsart je nach Alter. Mit kleinen Kindern wird gespielt oder etwas gebacken und dabei spricht man über das Befinden. Hingegen mit Jugendlichen werden richtige Gespräche im klassischen Sinne geführt.

Grundsätzlich ist die Primärbehandlung bei Kindern und Jugendlichen nicht medikamentös. Sollten aber weder strukturelle Massnahmen und Psychotherapie nicht helfen und die Diagnose klar ist, dann kann man über Medikamente nachdenken. Bei einer leichten Depression kann zum Beispiel mit Johanniskraut behandelt werden. Bei schweren Erkrankungen werden dagegen Serotoninwiederaufnahmehemmer eingesetzt. Nicht zu unterschätzen sind aber die Nebenwirkungen, welche sowohl bei pflanzlichen als auch chemischen Medikamenten haben können. So können in den ersten Wochen Suizidgedanken stärker werden. Hierbei ist es wichtig, das Kind stark zu beobachten. In schweren Fällen wird ein Klinikaufenthalt notwendig.

Hat ein Kind eine depressive Episode überstanden, dann steht die Chance 50/50, dass man erneut an einer Depression erkrankt. Wobei bei den 50 Prozent, welche eine zweite Phase durchmachen, die Gefahr besteht, dass sie eine chronische Krankheit entwickeln.

Zum Abschluss dieses Beitrages möchte ich euch den folgenden Dokumentationsfilm vom SRF ans Herzen legen. Unteranderem zeigt er einen eindrücklichen Einblick in die Kinderstation der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel.

Einstein in der Psychiatrie – Es ist okay, nicht okay zu sein

 

 

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About Author

Ich bin 28 Jahre alt und komme aus Basel. Seit 2013 arbeite ich für das Nordwestschweizerisches Kunstturn- und Trampolinzentrum in Liestal. Im März 2020 wurde bei mir die Krankheit Bipolare Störung diagnostiziert. Dadurch hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht und ich habe eine komplett neue Perspektive und Einstellung bekommen. Mehr dazu findest du in meinem Blog.

1 Comment

  1. Ciao Lukas
    Ein Beitrag, der unter die Haut geht, krass. Denn dass derart viele Kinder und Jugendliche an psychischen Krankheiten leiden, war mir nicht bewusst. Und diese Tatsache lässt viel Freiraum, über unsere Gesellschaft sowie die zig Anforderungen zu sinnieren, die uns im Leben gestellt werden.
    Ich bin schon jetzt auf deinen nächsten Post gespannt.
    LG Dani

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