Krank im Kopf Teil 3

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Sonntag, 15. März 2020, ich befinde mich im Krisenzentrum des Kanton Basel-Landschaft. Um mich herum Ärzte. Ich zeichne Pläne für die beiden Corona Testzentren in Münchenstein und Lausen. Um mich herum fallen Worte wie «Kriegsmedizin» oder «in diesem Ausmass zum letzten Mal während des Zweiten Weltkrieges». Ich schaue auf mein Smartphone und sehe Instagram Stories wie die Leute sich am Rhein unbekümmert sonnen, während wir hier auf die grösste Katastrophe des 21. Jahrhunderts zu steuern. Das Ganze wirkt surreal. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus. Einen Stock tiefer ruft die Baselbieter Regierung den Notstand aus. Einen Tag vor dem Bundesrat.

Mittwoch, 18. März 2020, Testzentrum Lausen. Meine erste Schicht steht an. Nachtschicht. Meine Erwartung, als Zivilschützer den Parkplatz zu regeln, erfüllt sich nicht. Stattessen stehe ich in Weisser Kleidung mit Schutzbrille, Haube, Handschuhen und Maske in einer Turnhalle und nehme Menschen zum Testen in Empfang. Es gibt einen gezielten Ablauf. In der Halle nebenan stehen ca. 25 Betten bereit, für den Fall, dass Leute zusammenbrechen, beatmet werden müssen oder wegen schweren Symptomen auf den Krankentransport warten müssten. Ich fühle mich wie in einem schlechten Sciencefiction Film. Das erste Mal breitet sich Angst in mir aus. Ich habe die Bilder von Italien im Kopf. Ich stell mir vor, dass ich Familie, Freunde oder Bekannte abweisen muss, weil die Kapazitäten nicht mehr ausreichen.

Donnerstag, 19. März 2020, um 08.00 Uhr ist meine Schicht zu Ende. Ich bin mittlerweile mehrt als 24 Stunden auf den Beinen. Die leergefegte Autobahn Richtung Basel erinnert an eine Geisterstadt. Zuhause angekommen breche ich unter der Dusche in Tränen aus. Ein erstes Warnsignal, welches ich aber ignoriere.

In den folgenden Tagen bin ich immer wieder im Testzentrum in Lausen. Erlebe dies und jenes. Mein Helfersyndrom macht sich bemerkbar. Ich versuche überall mitzuhelfen und anzupacken. Schon bald kennt mich die ganze Kompanie. Ein gutes Gefühl breitet sich in mir aus. Obwohl ich kaum schlafe, habe ich Energie für zwei. Meine Kreativität zeigt sich von einer neuen Seite. Leider. Plötzlich habe ich das Gefühl, ich weiss wie diese Krise zu bewältigen ist. Ich bin mir sicher, dass ich Daniel Koch und Bundesrat Alain Berset darüber in Kenntnis setzen muss. Die Frage stellt sich nur wie. Ich stelle eine Präsentation zusammen. Daraus entwickelt sich die Idee ein Video zusammenzuschneiden. Bald schon bin ich bereit dieses auf Instagram zu posten, weil ich überzeugt bin, dass ich die Lösung habe. Sicherheitshalber zeige ich es noch meinem Mitbewohner. Zum Glück.

Freitag, 27. März 2020, 2.30 in der Nacht. Ich sitze in der Wohnstube meiner WG, um mich herum sechs meiner besten Freunde. Ich versuche zu erklären, dass ich die Lösung habe. Die sechs sind überzeugt, einen Irren vor sich zu haben. Sie versuchen mit allen Mitteln zu mir durchzudringen, es wird laut, es laufen Tränen. Später wissen wir alle, das war die schlimmste Nacht unseres Lebens. Es bringt alles nichts. Ich gehe schlafen. Nur um zwei Stunden später das Haus zu verlassen. Ich weiss, ich muss jetzt nach Hause. Meine Eltern sind am Ende, sie machen sich endlos sorgen. Der einzige Ort, wo ich jetzt sein muss, ist zu Hause. Aber ich weiss mir geht es gut, ich bin auf dem richtigen Weg. Zuhause angekommen bestärke ich meine Eltern, dass ich weiterhin meinen Einsatz leiste. Es kommt ständig zu Konflikten. Am Einsatzort weiss niemand, was bei mir abgeht. Alles scheint normal.

Samstag, 28. März 2020, mein Vater schaltet sich ein. Informiert meinen Kommandanten, dass sie handeln müssen. Dann geht es Schlag auf Schlag.

Sonntag, 29. März 2020, 03.00 nachts, ich werde nach Basel gebracht. Meines Wissens läuft alles nach Plan, das gehört dazu. Unser Ziel ist die Universitäre Psychiatrische Klinik (UPK). Ich rede vom Zoo, rede vom Affenhaus, bin komplett neben den Schuhen. Ich bin mir sicher das ist nur ein Ort, wo man meine Intelligenz testen will. Ich werde eingeliefert und lande im Haus C, welches für die nächsten zwei Wochen mein zu Hause wird.

Mitten im Schauspiel

Nach einer kurzen Nacht laufe ich durchs Haus. Die Patienten nehme ich als Schauspieler war. Egal was, ich beziehe alles auf mich. Sei es im Radio oder in der Zeitung. Im Fernseher oder in Gesprächen mit Psychologin und Psychiaterin. Nach nur einer weiteren Nacht bestehe ich darauf, nach Hause zu meinen Eltern zu gehen. Es werden Abmachungen getroffen. Handy abgeben am Abend. Einnahme von Medikamenten nur mit vorzeigen. Täglich bin ich in der UPK, warte nur darauf, dass ich wieder gehen kann. Eigentlich warte ich auf Koch und Berset. Ich bin immer noch überzeugt die Lösung zu sein. Sie tauchen nicht auf. Werden es auch nie. Mitte April verlasse ich die UPK. Immer noch in einem verrückten Zustand, wenn auch weniger. Immer noch überzeugt der Auserwählte zu sein. Dass ich mich Mitten in einer heftigen Manie befinde, wird mir erst im Mai 2020 bewusst. Mittlerweile kenn ich die Diagnose: Bipolare Störung. Im Volksmund auch manisch-depressiv genannt. Die Manie habe ich hinter mir, doch dann kam sie, die Depression. Wie auf einen Schlag war alles anders.

Einblick in einen depressiven jungen Mann

Stell dir vor, dass sich dein Alltag, dein Leben, deine Welt von einem Tag auf den anderen um 180 Grad wendet. Stell dir vor, dass dir aus dem nichts auf einmal der Boden unter den Füssen weggezogen wird und du ins Bodenlose fällst. Stell dir vor, dass dein Leben, welches voller Freude und Hoffnung gezeichnet ist, plötzlich dunkel und traurig wird. Stell dir vor, du hast dermassen wenig Energie und Motivation, dass du es am Morgen nicht aus dem Bett schaffst. Stell dir vor, du stehst täglich am Bahnhof auf dem Perron und denkst dir bei jedem Zug nur ein kleiner Schritt und die Qual wäre vorbei. Stell dir vor, du bist in einem Raum voller Menschen, der Lärm, die Enge, alles bricht über dich ein. Eine Panikattacke folgt. Raus, ich muss hier raus.  Stell dir vor, du befindest dich im Abschluss deines Studiums und musst in diesem Zustand Prüfungen, sowie eine Bachelorarbeit schreiben. Stell dir vor, dass deine Gedanken dir sagen, dass du ein nichts bist, dass du nichts kannst, dass du eines Tages auf der Strasse landen wirst. Stell dir vor, du sitzt mit Freunden an einem Tisch und bringst kaum ein Wort über die Lippen. Stell dir vor, dass dir nicht mal der erfolgreiche Abschluss deines Studiums Freude bereitet. Stell dir vor, es gäbe an dieser Stelle noch vielmehr solche Sätze.

Hoffnung

Eineinhalb schwere Jahre liegen hinter mir. Begleitet von einer hartnäckigen Depression, die nicht wegzugehen schien. Irgendwann, nach unzähligen Versuchen, haben wir aber die richtige Medikamenteneinstellung gefunden. Die Krankheit wird mich von nun an ein Leben lang begleiten. Es kann jederzeit zu einem Rückfall oder einem erneuten Ausbruch kommen. Da sie nicht heilbar ist, werde ich für den Rest meines Lebens Medikamente nehmen müssen. Genau gleich wie jemand der Diabetes hat. Ich hoffe, dass ich von der Gesellschaft ebenso gleichwertig akzeptiert werde.

Danke

Persönlich glaube ich nicht an Gott. Aber aus irgendeinem Grund wurde mir in der schwersten Phase meines bisherigen Lebens ein Engel geschenkt. Meine damalige Freundin lernte mich kennen, als ich ein Wrack war. Jeder normale Mensch wäre davongelaufen, aber sie blieb. Ohne sie wäre ich nicht durch diese Zeit gekommen. Ja, ich wüsste nicht mal, ob ich es bis hier hin geschafft hätte. Sie ist mitverantwortlich, dass es mir heute wieder so gut geht und dafür werde ich auf ewig dankbar sein. Auch meinen Freunden, Familie, Arbeitgeber, Psychiater und Psychologin bin ich unglaublich dankbar. Sie haben immer zu mir gehalten und mich nie aufgegeben.

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About Author

Ich bin 28 Jahre alt und komme aus Basel. Seit 2013 arbeite ich für das Nordwestschweizerisches Kunstturn- und Trampolinzentrum in Liestal. Im März 2020 wurde bei mir die Krankheit Bipolare Störung diagnostiziert. Dadurch hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht und ich habe eine komplett neue Perspektive und Einstellung bekommen. Mehr dazu findest du in meinem Blog.

10 Comments

  1. Wow Luki, ich bi sprochlos!
    Danke für de sehr tiefi & intimi ihblick. Das wo du beschribsch, ka sich glaub niemerts vorstelle wo nid selber dure het müesse. Aber ich kas mir jetzt zumindest ahsatzwiis vorstelle. Ich wünsch dir, dass du d Krankheit so wiit im Griff kasch bhalte, dass du sie akzeptiere kasch & dis Lebe so unbeschwert wie vorher kasch füehre.

    • Lukas Gerber on

      Liebe Fabienne
      Vielen Dank für deine lieben Worte. Manchmal ist es schwer so etwas vorzustellen. Umso schöner, dass ich dir einen Einblick geben konnte. Gottseidank geht es mir heute wieder sehr gut und ich hoffe es bleibt so.
      Liebe Grüsse
      Luki

  2. Finde es toll, dass du uns so ehrliche Einblicke in dein Krankheitsbild gegeben hast. Super geschrieben.

  3. Sehr, sehr berührend Luki! Ich bin mit jedem Wort mitgegangen auf deiner Reise 🍀🦋♥️⭐.

  4. Sehr es berüehrends Video und au en sehr schön gschriebne Text Luki! Ich find das sehr stark wie du demit umgahsch und dass du das mit eus teilsch.

    • Lukas Gerber on

      Liebe Angelina
      Vielen Dank für deine lieben Worte. Es freut mich, wenn es gut ankommt.
      Liebe Grüsse
      Luki

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