Plauderstube mit Susanne

Heute spricht mit uns, nennen wir sie mal Susanne (32 Jahre), über ihr angeborenes Schielen. Da sie lieber anonym bleiben möchte, weicht das Format im Vergleich zu den vorherigen Posts ein wenig ab. Diesmal gibts kein Video, dafür aber ein ehrliches Interview. Bühne frei für Susanne!

 

Was ist deine grösste Herausforderung im Leben, Susanne?

Meine Augen leiden an einer Muskelschwäche. Deshalb verbrachte in meiner Kindheit viel Zeit in der Sehschule. Ich bin deswegen meiner Mutter sehr dankbar, da sie mich schon als Baby mit vier Monaten zum Augenarzt schickte und mich gleich bei der Sehschule angemeldet hatte.

Wie beeinflusst dich diese Herausforderung im alltäglichen Leben?

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt – ich kenne es nicht anders. Doch begleitet mich diese Muskelschwäche tagtäglich. Linsen und Brillen helfen mir sehr gegen das Schielen. Mit der Linse, Brille und einer gehörigen Portion Konzentration – bewusstes Schauen, schaue ich “normal”.  Sicherlich ist es auch schon ein wenig Routine geworden, aber wenn ich mich nicht konzentriere, falle ich trotz Brille und Linse wieder in das Schielen rein. Wenn ich zum Beispiel Alkohol trinke und die Kontrolle verliere, dann gibt es nie Fotos von mir. Ich verliere deshalb auch nicht gerne die Kontrolle.  Auch muss ich manchmal bewusst stärker mit dem rechten oder dann wieder mit dem linken Auge schauen, damit das jeweilig andere Auge nicht “faul” wird. Das ist Normalität – ich bin sozusagen dauerkonzentiert (lacht).

So ganz ohne Brille oder Linse, fühle ich mich doch nackt oder sogar blossgestellt. Dann hilft auch jegliche Konzentration nicht mehr, da ich ohne Kontaktlinsen oder Brille sichtbar schielen würde. Das wird mich tagtäglich bis an mein Lebensende begleiten.

Hattest du negative Reaktionen auf dein Schielen erlebt?

Es hat Momente gegeben, da war es ganz schlimm. Vor allem in meiner Kindheit – in der Primarschule. Kinder können brutal sein. Was sie sehen, wird ehrlich und direkt angesprochen. Auch überlegen sie sich nicht viel dabei oder haben grosse Moralvorstellungen. Da kamen mir Sprüche entgegen wie: Dein Auge wandert ab, wo schaust du denn wieder hin? Oder wenn vor mir gestanden sind und in eine andere Richtung geschaut hatten, als würde das eine Auge auch in diese Richtung schauen. Da ich damals selber Mühe hatte mein Schicksal zu akzeptieren, wurde mit dem Mobbing alles noch viel schlimmer.

Durch das Mobbing war damals mein Selbstbewusstsein sehr angekratzt. Ich wage sogar zu behaupten, dass mein Selbstbewusstsein sich bis heute nicht erholt hat. Ich wurde durch verletzende Reaktionen des Umfelds introvertiert und bin es immer noch. Vor der Primarschule war ich aber eine Rampensau und habe es geliebt in den Mittelpunkt zu stehen. Da staunt man, was Mobbing alles anrichten kann.

Sprichst du heute offen über das Schielen?

Inzwischen stehe ich über dem Thema. Mit dem Tragen der Linse, habe ich angefangen weniger zu schielen und da das Ganze nicht mehr so extrem war, fasste ich mehr Selbstvertrauen. Man verband meine Person nicht mehr nur mit dem Schielen. Das Thema Schielen rückte so immer mehr in den Hintergrund.

Ach ja, da gabs noch mal einen Schlüsselmoment…Früher als Kind konnte ich nicht gerade aus schauen – meine Augen waren nach innen gerichtet. Ich konnte nicht nach rechts oder links schauen ohne meinen Kopf zu drehen. Ich erinnere mich nicht genau wann es war, jedoch wurde mir plötzlich einmal bewusst, dass ich so viel geleistet hatte. Wenn ich zurückblicke, als ich nicht gerade aus schauen konnte und heute sieht man es mir fast nicht mehr an, bin ich sehr stolz auf mich. Ich kann mit der Brille heute gerade schauen und früher war das wirklich ein Ding der Unmöglichkeit. Aus dieser Erkenntnis fasste ich neues Selbstvertrauen und konnte mit Freunden und Bekannten offen darüber sprechen. Aber das Selbstvertrauen bleibt angekratzt.

Das gibt Susanne anderen mit auf dem Weg…

Jede/r muss selber für sich herausfinden, wie man solche Schicksalsschläge bewältigen und damit leben kann.  Was bei mir geholfen hat: Schon als Kind habe nie die Hoffnung aufgegeben, dass ich wieder wie alle anderen “normal” gerade aus schauen kann. Ich ging deshalb sogar gerne in die Sehschule, da ich einfach eine Besserung sehen wollte. Und ich wusste, dass mir die Sehschule nur helfen kann. Gibt also nie auf zu kämpfen!

Bitte an alle, welche mal eine schielende Person antreffen: Schaut nicht hin und her um zu sehen, wo die schielende Person hinschaut, sondern schaut einfach der Person ins Gesicht. Alles andere nervt und verletzt einfach nur.

 

Prashika Selvarajah

Hallo erstmal! Schön, dass du auf meinem Plauderstube-Vlog gelandet bist! Ich glaube an Geschichten. Auch glaube ich daran, dass jede Geschichte zählt und für viele inspirierend sein kann - auch wenn man nicht immer daran glaubt. Folglich habe ich mich dafür entschieden, Menschen eine Plattform zu bieten, ihre Geschichte erzählen zu können. Der Inhalt? Simple, aber tiefsinnige Fragen wie : "Was ist/war die grösste Herausforderung in deinem Leben?", "Mit was hast/hattest du am meisten zu kämpfen?" Jede/r kennt das: Herausforderungen im Leben. Mal meistert man sie gut, mal weniger gut - so ist das Leben halt. Die Herausforderung steht dann vor der Nase und entweder man weicht aus oder man stellt sich. Mit jeder Herausforderung, der sich man stellt, wächst man. Und entwickelt sich. Bühne frei für mutige Menschen, welche über ihre grösste Herausforderung im Leben oder was sie am meisten beschäftigt, sprechen.

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