29. Januar 2021

Sustainable Investments

Ein proprietärer ESG-Score mit Bloomberg-Daten

Ein proprietärer ESG-Score mit Bloomberg-Daten

Wie beurteilt man die Nachhaltigkeit von Unternehmen? Diese Frage müssen Investoren beantworten, wenn sie Nachhaltigkeitskriterien in den Investmentprozess integrieren. Banken, Fondsanbieter und Investoren stützen sich dabei meist auf externe ESG-Ratings, die von Analysehäusern wie MSCI ESG, Sustainalytics, ISS ESG oder Inrate angeboten werden. ESG-Ratingagenturen sind zentrale Instanzen dafür, was in der Branche als nachhaltig gilt.[1] Dieser Blog-Beitrag beschreibt die Herausforderungen externer ESG-Ratings und präsentiert eine Lösung, wie man mit eigenen Kriterien einfach ein proprietäres ESG-Scoring erstellen kann.

Autoren: Alessandro De Vito, Brian Mattmann

Die Vermögen, die nach nachhaltigen Kriterien angelegt sind, wachsen rasant. So sind die Fondsvermögen nachhaltiger Schweizer Publikumsfonds um 60 Prozent gestiegen. Das zeigt die kürzlich publizierte «IFZ Sustainable Investments Studie 2020» der Hochschule Luzern. Für nachhaltige Anlagen stützen sich Investoren und Fondsanbieter meist auf die Beurteilung von ESG-Ratingagenturen ab und delegieren damit die Prüfung, ob ein Unternehmen nachhaltig ist, an einen externen Anbieter. Denn die meisten Investoren können sich keine eigene Research- und Analyseabteilung leisten, welche die Nachhaltigkeitsleistung von Investmentobjekten inhouse beurteilt. Investoren nehmen die Leistungen von unabhängigen Rating-Agenturen in Anspruch, die mittels proprietären Modellen Unternehmen auf ihr Nachhaltigkeitsprofil bewerten.

ESG-Rating-Modell sollten in der Tiefe verstanden werden

Doch dieser vermeintlich einfache Einkauf von Research-Leistung verbirgt einige nicht direkt erkennbare Tücken. Banken, Asset Manager, Fondsanbieter und Investoren delegieren damit die Auswahl, Bewertung und Gewichtung von Nachhaltigkeitskriterien an einen Spezialisten. Sie entziehen sich einer eigenen, unabhängigen Definition und Bestimmung von Nachhaltigkeitskriterien. Gleichzeitig wird mit dem Einkauf auch ein Teil des Reputationsrisikos übertragen, denn Banken und Fondsanbieter stützen sich auf externe Nachhaltigkeitsurteile ab. Das kann problematisch sein, speziell wenn ESG-Ratings mangels Transparenz nicht in der Tiefe verstanden werden und den Kunden nicht verständlich erklärt werden können. Die Schwierigkeit in der Selektion einer passenden ESG-Ratingagentur besteht darin, dass verschiedene ESG-Ratingagenturen unterschiedliche Methoden und Modelle verwenden. Je nach Modell, Auswahl und Gewichtung der Kriterien resultieren stark differierende Werturteile.

Investoren wählen mit dem ESG-Rating einen Nachhaltigkeitsansatz

Der Asset Manager wählt mit der Selektion der Rating-Agentur faktisch nur den Modellrahmen und delegiert die Verantwortung seiner Nachhaltigkeitsstrategie damit an Dritte. Die Methoden der Rating-Agenturen sind für den Vertrieb standardisiert und lassen dem Asset Manager in der Beurteilung von Nachhaltigkeit eher wenig Spielraum. Eine mögliche Lösung, um die Verluste aus der Kompromissfindung zu reduzieren, ist die Erstellung eigener ESG-Scores für Unternehmen. In einer Sandbox-Umgebung wollen wir zeigen, wie mit Hilfe von Bloomberg einfach eigene Nachhaltigkeitskriterien selektiert, gewichtet und Werturteile gebildet werden können. Eine solche Lösung kann zum Beispiel komplementär zu einem externen ESG-Rating eingesetzt werden. Sie kann helfen, die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen besser zu verstehen, da ein hohes Mass an Transparenz sichergestellt ist.

Bloomberg als Ausgangspunkt für eigenes ESG-Scoring

Der hier vorgestellte Ansatz ist auf Bloomberg aufgebaut, eine in der Finanzindustrie weitverbreite Dateninformationsplattform. Das amerikanische Unternehmen aggregiert seit 2009 eine Vielzahl verschiedener ESG-Daten pro Unternehmen. Bloomberg verdichtet diese Daten allerdings nicht zu einem eigenen ESG-Rating, wie dies etwa Refinitiv (eh. Thomson Reuters) tut, sondern es stellt diese Rohdaten den Nutzern unveredelt zur Verfügung. Seit dem kürzlich auf Bloomberg implementierten JupyterLab können via Python (und BQL) die schier unüberblickbare Menge an ESG-Faktoren individuell aggregiert und visualisiert werden. Darauf basiert das hier präsentierte Tool. Es ermöglicht Investoren, insgesamt 880 ESG-Faktoren transparent zu überblicken und individuell auszuwählen. In den drei ESG-Dimensionen können Nutzer jeden einzelnen Datenpunkt auswählen und individuell gewichten. Die Faktoren E, S, und G können nochmals separat gewichtet werden. Bei diesem Tool entscheiden Anleger selbst, welche ESG-Kriterien wie gewichtet werden. Es entsteht ein ESG-Scoring, das auf die eigenen Nachhaltigkeitsbedürfnisse ausgerichtet ist. In unserem Beispiel wurden 43 E-, 49 S-, und 32 G-Faktoren selektiert und nach einem Best-in-Class-Ansatz rangiert. Anschliessend wurden die Ränge der einzelnen Faktoren gleichgewichtet und über Branchen standardisiert. Das Resultat ist ein ESG-Score pro Unternehmung im Vergleich zu seinen Index-Konkurrenten. Die Abbildungen 1 bis 2 zeigen die Benutzeroberflächen der definierten Faktoren und deren Gewichtung. Abbildung 3 zeigt den relativen ESG-Score eines Unternehmens innerhalb eines Indizes.

Fazit

Dieses Beispiel zeigt, wie mit einfachen technischen Mittel ein eigenes ESG-Scoring erstellt werden kann. Es kann helfen, die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen besser zu verstehen, da der Ratingprozess einfach und transparent ist. Allerdings ist das Modell sehr einfach aufgebaut, das Scoring-Modell vermag sektorspezifische Risiken noch nicht in der Tiefe abzubilden. Etwa eine SASB-Matrix kann heute im Tool noch nicht hinterlegt werden, was zur Feststellung materieller Risiken aber notwendig wäre. Zudem beurteilt es nur das ESG-Exposure einer Unternehmung und lässt ein adäquates ESG-Risikomanagement des Managements unberücksichtigt. Das Tool zeigt: Wenn man sich vertieft mit ESG-Scorings beschäftigt, wird die hohe Komplexität des Themas evident und proprietäre Ratings sind möglich – und können das Verständnis der Materie vertiefen.

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Abbildung 1: Selektion und Gewichtung des Umweltfaktors
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Abbildung 2: Selektion und Gewichtung des Social-Faktors
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Abbildung 3: ESG-Ranking basierend auf proprietärem Nachhaltigkeitsmodell

[1] Die «IFZ Sustainable Investment Studie 2018» beschreibt die Funktionsweise von ESG-Ratings detailliert und analysiert die Modelle verschiedener ESG-Ratingagenturen. Die Studie ist frei zugänglich unter www.hslu.ch/sustainable

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