10. Februar 2020

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Veränderung der Mobilität: Was sind die Folgen für die Immobilienwirtschaft?

Veränderung der Mobilität: Was sind die Folgen für die Immobilienwirtschaft?

Der Einfluss des Verkehrssektors und des demografischen Wandels auf den Immobilienmarkt ist evident. Neue Wohnformen wie das Microliving stellen die Immobilienbranche vor neue Herausforderungen. Die regionalen Mobilitätskonzepte prägen die Entwicklung eines solchen Wohntrends enorm. Inbesondere die Elektromobilität und das autonome Fahren stellen die Immobilienwelt vor völlig neue Herausforderungen. Ergeht es Parkhäusern zukünftig ähnlich wie dem Einzelhandelsmarkt? Und kann der Einzelhandelsmarkt durch die erhöhte Passantenfrequenz wieder an Bedeutung gewinnen?

Lukas Wälty; Ronny Winkler

Demografischer Wandel und Urbanisierung in der Schweiz

Zwischen 1950 und 2017 ist die Bevölkerungszahl der Schweiz um 80% auf 8.5 Millionen Menschen gestiegen. Auch in den kommenden Jahren werden wir unaufhaltsam wachsen. Nebst der Grösse der Bevölkerung hat sich auch die Altersstruktur stark verändert. Der Anteil der über 65-jährigen Personen hat sich seit 1950 fast verdoppelt.[1]

Die Besiedelung der Schweiz konzentriert sich dabei hauptsächlich auf das Mittelland. Fast zwei Drittel der Bevölkerung leben in der Ebene zwischen den Alpen und dem Jura. Trotzdem gibt es im Mittelland nur wenige Städte mit mehr als 100‘000 Einwohnern. Dies liegt daran, dass die Schweiz polyzentrisch besiedelt ist. Hat bis zur Jahrtausendwende noch die Fläche zwischen Zürich-Basel-Luzern den grössten Bevölkerungswachstum erfahren, verzeichnen seit dem Eintreten der Urbanisierung die Grossstädte wieder zunehmende Einwohnerzahlen. Dieser Trend ist auf ein Zusammenspiel von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren zurückzuführen. Städte verfügen über eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, eine grosse Auswahl an Freizeitaktivitäten und eine ausgezeichnete Infrastruktur.[2]

Verschmelzung der Mobilitätsformen

Die dynamische Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung führt dazu, dass die Menschen immer mobiler werden oder zumindest mehr vom öffentlichen Raum beanspruchen. Mit der heutigen Infrastruktur wird dieses Wachstum kaum zu bewältigen sein. Staustunden werden weiter zunehmen und sowohl für die Umwelt wie auch finanziell zu einer Belastung.[3] Kommt hinzu, dass das Auto bekanntlich relativ schlecht geeignet ist, um viele Personen von A nach B zu befördern. Busse und Züge haben diesbezüglich eine deutlich höhere Kapazität bei einem Bruchteil des Schadstoffausstosses. Ein Reisebus beispielsweise weist bereits eine 10x höhere Personenbeförderungskapazität auf als ein Auto – beim Zug ist diese 50x höher. Es liegt somit auf der Hand, insbesondere in urbanen Gebieten neue Verkehrskonzepte auszuarbeiten, welche den öffentlichen Verkehr fördern und den motorisierten Individualverkehr (MIV) eingrenzen.[4]

Was in den 90er Jahren mit Mobility seinen Ursprung nahm, hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom an neuen Sharing-Services erfahren. Heute hat jedermann via App Zugang zu unzähligen Fahrzeugen, Velos, Scooter etc. Aber egal welches Sharing-Modell man betrachtet, die Innovation liegt nicht im Fahrzeugtyp, sondern in der Art und Weise, wie man sie benutzt und bedient. Die einzelnen Verkehrsmittel werden daher in den kommenden Jahren zu kombinierten Lösungen verschmelzen. Die sinnvolle Kombination der einzelnen Verkehrsmittel wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Zwar wird heute bereits zwischen verschiedenen Transportmitteln gewechselt, jedoch wird dies in Zukunft noch individueller und pragmatischer geschehen. Reisende werden infolgedessen nicht mehr reine Autofahrer oder ÖV-Benutzer sein, sondern kombinieren die Verkehrsmittel frei zu Ihrem Vorteil.[5]

Sharing und autonomes Fahren als Lösung aller Probleme

Autos werden somit auch zukünftig nicht aus den Innenstädten verbannt werden, sondern als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr dienen. Der Trend beim motorisierten Individualverkehr (MIV) geht vom Besitzen zum Nutzen. Durch Car-Sharing kann das vorhandene Verkehrsaufkommen mit rund einem Drittel der Fahrzeugflotte bewältigt werden.[6] Durch autonome Fahrzeuge wird die Verschmelzung von öffentlichem Verkehr und Individualverkehr gar eine neue Stufe erreichen. So sind beispielsweise Konzepte denkbar, bei denen in urbanen Räumen der öffentliche Verkehr genutzt wird und für Randregionen neben autonomen Fahrzeugen selbstfahrende Sammeltaxis zum Einsatz kommen. Bereits heute besteht mit dem Sharing-Dienst MOIA von Volkswagen beispielsweise ein Taxidienst, welcher Personen von ihrem Standort abholt und mit Kleinbussen zum Wunschziel führt. Während der Nutzer via App seinen Standort und das Ziel eingibt, ermittelt ein Algorithmus, welche Nutzer sich auf dieser Strecke befinden und sammelt diese ein. Dieses, noch nicht ausgereifte Konzept, verbindet die Idee eines öffentlichen Verkehrsmittels mit dem Komfort eines Taxis. [7]

Dass die Zukunft des öffentlichen Verkehrs im autonomen Fahren liegt, zeigen auch Projekte in Sitten, Schaffhausen oder Bern. In diesen Städten verkehren bereits heute autonome Busse, welche Personen von A nach B befördern. Diese Transporter sind jedoch mit maximal 20 Kilometer pro Stunde noch sehr langsam unterwegs und benötigen aufgrund der Sicherheit eine Begleitperson. [8]

Der öffentliche Verkehr kann durch solche Konzepte kosteneffizienter geführt werden. Dies wiederum erhöht die Attraktivität dieses Verkehrsmittels.[9] Neben dem öffentlichen Verkehr kommen für kurze Strecken vermehrt auch elektrische Motorroller und E-Scooter zum Einsatz.

Neue Wohnformen und Aufwertung des öffentlichen Raumes

Je mehr die urbanen Regionen wachsen, desto grösser wird der Druck zur Schonung der Landschaft. Die zukünftigen Verkehrssysteme werden die Siedlungsentwicklung nach innen fördern und gleichzeitig die negativen Auswirkungen der Mobilität auf die Wohnqualität, den Energieverbrauch und die Landschaft reduzieren. Das Haus im Grünen wird damit immer mehr an Marktanteil verlieren. Neue Wohnformen wie das Microliving, welches den Wohnraum eines Apartments oder Hauses auf das Nötigste reduziert, sowie der Trend hin zu Einpersonenhaushalten werden den Markt beherrschen.[10]

Neue Mobilitätsformen werden das Stadtbild verändern. Heute zeigen dies bereits Vorreiterstädte wie Helsinki oder Madrid. Anstelle von mehrspurigen Schnellstrassen zieren heute Strassenbahnen, Radwege und Grünanlagen das Strassenbild der Zentren.[11] Für Fussgänger und Personen auf Velos und E-Scooters werden überbreite Trottoirs geschaffen. Der Rückgang des MIV führt zudem zu niedrigeren Geschwindigkeiten. ÖV-Haltestellen und der Fussverkehr fördern ein belebtes Strassenleben und werten dadurch die unter Druck geratenen Retail-Flächen erheblich auf.[12] Strassenabschnitte, welche heute aufgrund des Durchgangsverkehrs als unattraktiv wahrgenommen werden, könnten in naher Zukunft durch solche neuen Konzepte deutlich an Bedeutung gewinnen.

Anpassungen von Infrastrukturbauten

Das autonome Fahren und die Elektrifizierung der Fahrzeuge bedingt auch eine Anpassung unserer Verkehrsinfrastrukturen. Elektrofahrzeuge sind in der Regel mit Lithium-Ionen-Batterien ausgestattet, welche eine kritische Konzentration an Schwermetallen aufweisen. Bei einem Brand werden diese chemischen Schadstoffe freigesetzt und bringen bei ungenügenden Lüftungssituationen involvierte Personen zusätzlich in Gefahr. Insbesondere unterirdische Bauten wie Strassentunnels oder Einstellhallen müssen für diese Art von Gefahr nachgerüstet oder neu konzipiert werden. Der Tiefbau steht hier also vor einer neuen Herausforderung.[13]

Das Parkhaus als Mobilitätsknotenpunkt

Bereits heute findet man in Parkhäusern Ladesäulen für Elektroautos. Durch das autonome Fahren wird die Rolle der Parkhäuser jedoch komplett neu definiert. Fahrzeuge können über einen Smartphone-Befehl selbständig ein- und ausparken – dem Fahrer bleibt das Betreten des Parkhauses und die mühselige Suche nach einem freien Platz somit erspart.

Als Folge des autonomen Fahrens werden Autos nur noch bei Bedarf bestellt. Dieser Effizienz-steigerung folgt ein Rückgang der Fahrzeuge. Da die Autos mittels Sharing-Konzepte beinahe im Dauereinsatz operieren, müssen sie nicht mehr im öffentlichen Raum abgestellt werden. Den Parkhäusern könnte es so ergehen wie dem Retail-Sektor: Durch den technischen Wandel werden Einrichtungen und Dienstleistungen vermehrt nicht mehr benötigt.[14]

Gerade weil Parkhäuser in der Regel an verkehrstechnisch interessanten Orten liegen, dürften die Gebäude auch weiterhin ihre Berechtigung haben. So beispielsweise als Logistikstandort für Pakete oder Mobilitätshub für Car-, Scooter- oder Bikesharings.[15]

Egal, in welche Richtung sich die Mobilität bewegt. Investoren werden sich zukünftig mit neuen Fragestellungen beschäftigen müssen. Wie werden wir beispielsweise wohnen und wie leben wir zukünftig zusammen? Wie soll die moderne Wohnung gebaut werden, damit der individuelle Lebensstil ausgelebt werden kann? Welche Anpassungen oder Neukreationen müssen bei Infrastrukturbauen berücksichtigt werden? Wo hört das physische auf und wo fängt das digitale an?

Die Schweizer Immobilienbranche befindet sich nun, nach einem 20-jährigen Superzyklus mit extremem Preisaufschwung, vor einer völlig neuen Herausforderung.

Dieser Beitrag ist während eines Projektes der Studierenden des MAS Immobilienmanagement entstanden.

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Quellen:

[1] Bundesamt für Statistik (2019). Mobilität und Verkehrs. Statistischer Bericht 2018. 9-10.

[2] Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK Bundesamt für Raumentwicklung ARE (2016). Verkehrsperspektiven 2040. Entwicklung des Personen- und Güterverkehrs in der Schweiz. 1.

[3] Liebrich, S. (2018, 23. Februar). So lässt sich der Verkehrskollaps vermeiden. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrsplanung-kampf-gegen-den-kollaps-1.3878462

[4] GDI Gottlieb Duttweiler Institute (2013). Mobilität 2025 – Unterwegs in der Zukunft.

[5] Liebrich, S. (2018, 23. Februar). So lässt sich der Verkehrskollaps vermeiden. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrsplanung-kampf-gegen-den-kollaps-1.3878462

[6] Hamburg Media School (2019). Future Mobility – Wie die Zukunft der Mobilität aussehen wird. https://www.hamburgmediaschool.com/assets/documents/Trendreport_Future_Mobility.pdf

[7] Auto-schweiz (ohne Datum). Was autonomes Fahren heute schon kann. https://meinautogramm.auto.swiss/mobilitaet-der-zukunft/was-autonomes-fahren-heute-schon-kann/

[8] Economiesuisse (ohne Datum). Zukunft digitale Schweiz. Aufgerufen am 12.09.2019 von https://www.economiesuisse.ch/sites/default/files/publications/20170822_Zukunft-digitale-Schweiz_Web.pdf

[9] GDI Gottlieb Duttweiler Institute (2018). Microliving. Urbanes Wohnen im 21. Jahrhundert.

[10] Liebrich, S. (2018, 23. Februar). So lässt sich der Verkehrskollaps vermeiden. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrsplanung-kampf-gegen-den-kollaps-1.3878462

[11] Van de Wetering Atelier für Städtebau (2017). Urbane Qualitäten und Mobilität. http://www.svi.ch/fileadmin/user_upload/SVI_Referat_170824_Wetering.pdf

[12] Amstein+Walthert (2019), Mobilität der Zukunft – Sind unsere Infrastrukturen bereit? https://www.amstein-walthert.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/zB_Broschueren/zB_81_A4.pdf

[13] Nexiga (2017), Welche Zukunft hat das Parkhaus? https://www.nexiga.com/geomarketing-blog/autonomes-fahren-parkhaus/

[14] Fraunhofer FOKUS (2017), Wie sieht das Parkhaus der Zukunft aus? https://www.fokus.fraunhofer.de/de/fokus/news/parkhaus_2017_07

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