10. Dezember 2018

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Fitness-Test für Retail-Liegenschaften – Ein Ansatz aus der Praxis

Fitness-Test für Retail-Liegenschaften – Ein Ansatz aus der Praxis

Der anhaltende Wandel des Detailhandels führt seit längerem zu disruptiven Veränderungen und weist keine Anzeichen einer Entschleunigung auf. Dieser hat einen massiven Einfluss auf die Immobilienbranche und insbesondere auf die Rentabilität der Immobilienportfolios. Immobilieneigentümer brauchen dynamische Analysemethoden, um ihre Objekte in dieser Umbruchphase schnell und effizient zu prüfen.

Martina Albers

Der Schweizer Detailhandel generierte im Jahre 2017 einen Umsatz von rund 92 Mrd. CHF. Er ist damit einer der wichtigsten Standbeine der Schweizer Binnenwirtschaft. Der Erfolg im Detailhandel ist massgebend durch den Standort geprägt. Für die Immobilienbranche galten Detailhandelsliegenschaften bisher als lukratives Geschäft. Die Anwendung eines effizienten Verfahrens zur Evaluierung eines Detailhandel-Portfolios kann für jedes Immobilien-Unternehmen den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern bedeuten.

Die Hardturm AG mit Sitz im Herzen der Stadt Zürich führt ein Portfolio, das sich auf Liegenschaften in namhaften Schweizer Städten fokussiert. Fast zwei Drittel der Immobilien in ihrem Portfolio weisen eine Detailhandel-Nutzung auf. Aus diesem Grunde hat die Hardturm AG im Frühjahr 2018 einen Test entwickelt, mit dem das Potential – respektive die Fitness – von Detailhandelsliegenschaften bestimmt werden kann. Dieser ‘Fitness-Test’ wird als Grundlage dafür genutzt, eine Portfoliostrategie zu erarbeiten. Damit können Detailhandelsliegenschaften massgebend schneller und einfacher evaluiert werden.

Der Fitness-Test als Grundlage für Strategieentscheidungen

In der Literatur wie auch in der Praxis finden sich viele Methoden unterschiedlichster Natur zur Portfolioanalyse. Dabei stechen managementorientierte Ansätze durch ihre einfache Methodik und Flexibilität hervor.

Der hier präsentierte Test entspricht einem sogenannten ‘Scoring-Verfahren’. Dieser basiert auf einer vordefinierten Anzahl Kriterien, mit denen Liegenschaften beschrieben und bewertet werden. Durch eine Gewichtung der Kriterien kann ein numerisches ‘Scoring’ abgeleitet werden.

Die Wahl der Kriterien sowie deren Anzahl ist in einem solchen Verfahren frei definierbar. Eine umfassende Charakterisierung des Objektes ist dabei entscheidend. Idealerweise sollte der Aufbau eines Scoring-Verfahrens jeden relevanten Aspekt eines Immobilienobjektes abbilden.

Der Erfolg einer Detailhandelsliegenschaft leitet sich aus der Beantwortung folgender Fragen her: Wo liegt das Objekt? Wie kommt man zum Objekt? Wie wird das Objekt genutzt? Anders formuliert wird der Erfolg grundsätzlich durch drei Faktoren bestimmt: Lage (Mikro und Makro), Mobilität und Nutzung. Die Makro-Lage beschreibt die grossräumige Umgebung, die Gemeinde und die Region. Die Mikro-Lage hingegen schildert die direkte Umgebung des Objekts wie beispielweise die Nachbarschaft und nahegelegene Strassen.

Im Fitness-Test der Hardturm AG werden diese Faktoren durch acht Kriterien repräsentiert: Passantenfrequenz, Visibilität und Umgebung (Faktor ‘Mikro-Lage’); Parkplätze, Anschluss an öV und Erschliessung (Faktor ‘Mobilität’); Nutzungsflexibilität und Gastro-Nutzung (Faktor ‘Nutzung’). Die Kriterien sind in der Box näher beschrieben.

Die Makro-Lage wird ebenfalls berücksichtigt, wenn auch nicht in Form eines selbstständigen Kriteriums. Sie wurde durch die Gewichtung der oben erwähnten Kriterien eingebettet. Diese Struktur stammt aus Erkenntnissen der Praxis, wonach Kriterien je nach Makro-Lage eine unterschiedliche Relevanz haben. Was im Zentrum von Glarus zum Erfolg führt, kann in grösseren Stadtzentren wie Zürich nicht oder zumindest weniger relevant sein. Es wurden drei Makro-Lagen definiert (Gross-, Mittel- und Klein-Zentrum). Jede dieser Ausprägungen ist an ein Set von Gewichten gekoppelt.

Eine Liegenschaft wird auf jedes einzelne Kriterium geprüft und wird mit einer Zahl zwischen 1 und 5 bewertet. Alle Bewertungen werden anschliessend anhand der Gewichte gemittelt und dies ergibt das schlussendliche Scoring der Liegenschaft.

Die Hardturm AG hat sämtliche Liegenschaften, welche eine Detailhandel-Nutzung aufweisen, mit diesem Fitness-Test geprüft. Jedes Objekt wurde einzeln analysiert, um anschliessend auf Portfolio-Ebene weitere übergreifende Analysen durchzuführen.

Fundierte Herleitung der Kriterien ist ausschlaggebend

Der beschriebene Fitness-Test zeichnet sich durch seine Einfachheit aus. Er lässt sich gut an neue Bedürfnisse anpassen und liefert schnelle, reproduzierbare sowie quantifizierbare Resultate. Zudem ermöglicht er einen direkten und objektiven Vergleich zwischen mehreren Immobilien und eine gesamthafte Betrachtung eines Portfolios.

Beispielhafte Übersicht einer Portfolio-Analyse anhand des Fitness-Tests. Jede Datenreihe stellt die Bewertung eines einzelnen Objektes dar, die orange Linie zeigt hingegen den ungewichteten Mittelwert der Kriterienbewertungen an. Quelle: eigene Abbildung.

Die Selektion und Gewichtung dieser Kriterien bilden das Herzstück der Methodik. Die Resultate reagieren auf Anpassungen dieser zwei Faktoren sehr sensibel. Bei der Wahl der Kriterien sollte darauf geachtet werden, dass jedes Kriterium eine möglichst in sich abgeschlossene Dimension des Objektes darstellt. Korrelationen zwischen den Kriterien können zu Verzerrungen der Resultate führen. Im oben erwähnten Fitness-Test für Detailhandelsliegenschaften an Zentrumslagen besteht beispielsweise die Gefahr einer Abhängigkeit zwischen den Kriterien ‘Umgebung’ und ‘Passantenfrequenz’. Diese können sich gegenseitig beeinflussen: Je mehr Passanten an einer Lage, desto eher wird diese Lage aufgewertet. Anders herum ziehen attraktive Standorte tendenziell mehr Passanten an. Diese Herausforderung wurde im aktuellen Fitness-Test noch nicht zufriedenstellend adressiert. In der nächsten Version soll dieser mittels einer Korrelationsanalyse entgegengewirkt werden.

Eine vorgängige Kriterien-Analyse soll einen Kompromiss zwischen einer möglichst grossen Anzahl Kriterien und einer weitgehenden Unabhängigkeit der betrachteten Dimensionen erlauben.

Der Ausprägung der Kriterien sind keine Grenzen gesetzt: Von quantitativen Kennzahlen bis zu qualitativen Einschätzungen ist alles möglich. Jedoch empfiehlt es sich, Kriterien mit einer numerischen Definition zu wählen. Diese stellen die Objektivität des Fitness-Tests und somit der Resultate sicher.

Die Festlegung der Gewichtung kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Die Hardturm AG hat die Bestimmung der Gewichte einem Gremium von Experten aus verschiedenen Bereichen überlassen. Das Gremium bestimmte unterschiedliche Gewichte-Sets je nach Makro-Lage (Gross-, Mittel- oder Klein-Zentrum).

Auch statistische Methoden wie die lineare Regression können interessante Ansätze für die Eruierung der Gewichte sein. Solche Vorgehen erweisen sich jedoch als aufwändig und komplex, da diese eine hohe Datenmenge und das Sicherstellen von verschiedenen Modellannahmen erfordern. Somit würden die zuvor erwähnten, vorteilhaften Charakteristiken des Tests, wie dessen Einfachheit und Anpassungsfähigkeit, zunichtegemacht. Langfristig kann aber eine solche Stossrichtung angedacht werden.

Fit für die neue Ära?

Die Welt des Handels wird derzeit auf den Kopf gestellt. Für Immobilieneigentümer ist es ausschlaggebend, den Strukturwandel eng zu verfolgen, denn nur so können mögliche Entwicklungen und daraus entstehende Risiken wie auch Chancen rechtzeitig erkannt werden. Ziel der präsentierten Analysemethode ist, die Fitness einer Immobilie in der neu angebrochenen Retail-Ära greifbar zu machen. Die Aufgabe des Portfoliomanagements lautet dann, die Immobilie «fit für die Zukunft» zu machen und sie vorteilhaft im Markt zu positionieren.

  • Passantenfrequenz: Anzahl Passanten, welche in einer vordefinierten Zeitspanne am oder im Objekt vorbeilaufen.
  • Visibilität: Bespielbarkeit des Objektes zu Marketing-Zwecken, Exponierung der Schaufensterflächen o.Ä..
  • Umgebung: Qualität der benachbarten Mieter und Objekte, sowie der (allfälligen) umgebenden Sehenswürdigkeiten.
  • Parkplätze: Anzahl Park-Möglichkeiten in der Umgebung.
  • Anschluss an öV: Qualität des Anschlusses an den öffentlichen Verkehr.
  • Erschliessung: Qualität der logistischen Erschliessung Mieter (hier für Händler und Lieferanten).
  • Nutzungsflexibilität: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Flächen auf eine variierende Anzahl Mieter.
  • Gastro-Nutzung: Kapazität, gastronomische Konzepte innerhalb des Objektes unterzubringen, oder Nähe zu Gastronomien mit Synergie-Potential.

Der Artikel ist im 268. Schweizer Immobilienbrief erschienen.

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