8. Oktober 2018

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Nachhaltigkeit im Bestand Teil 1: Wo wir heute stehen

Nachhaltigkeit im Bestand Teil 1: Wo wir heute stehen

Das Forschungsprojekt «Nachhaltige Wohnungswirtschaft» untersucht verschiedene Aspekte nachhaltiger Gebäude und Quartiere. In einer ersten Phase wurde gemeinsam mit dem Bau- und Entwicklungsunternehmen Implenia die Ökonomie der Nachhaltigkeit im Bestand unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse aus der von Implenia veröffentlichten Studie „Nachhaltigkeit im Bestand: Wirtschaftlichkeit, technische Machbarkeit und politische Wünsche“ werden hier in einer dreiteiligen Serie zusammengefasst. Am 6. Juni 2019 folgt eine übergeordnete Konferenz zum Thema «Nachhaltige Wohnungswirtschaft» am IFZ in Zug.

Philippe Kaufmann, Implenia & Christian Kraft, Hochschule Luzern

Aufgrund der hohen Bedeutung des Gebäudebestandes für Energieverbrauch und Emissionen wird der Nachhaltigkeit seit vielen Jahren analytisch grosse Beachtung geschenkt. Bei vielen Studien lag der Forschungsschwerpunkt nachhaltiger Gebäude bislang vornehmlich auf der Analyse von Miet- und Preisprämien, d.h. der Ertragsseite. Die Kostenseite sowie mögliche Risiko mindernde Faktoren wie bspw. tiefere Leerstände und kürzere Vermarktungsdauern verlangen nach einer vertieften Analyse. In einer ersten Analyse wird hierzu eine repräsentative Stichprobe der Docu Media Datenback (Bauinfo-Center) auf einzelne bauliche Massnahmen und deren Wirtschaftlichkeit untersucht. Aufgrund der hohen Relevanz des Gebäudebestandes und dessen Sanierung für die Erreichung der Energieziele 2050, erfolgt diese Auswertung zunächst für Umbauprojekte.

Entwicklung energetische Sanierung insgesamt: Nachlassende Dynamik seit 2015

Betrachtet man die Entwicklung der erfassten nachhaltigen Massnahmen insgesamt und volumengewichtet, so ist ein deutlicher Rückgang der Aktivität seit 2015 festzustellen. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklung deutlich. Zur Konstruktion des Index «Nachhaltigkeit im Bestand» werden die einzelnen Massnahmen mit den jeweiligen Bauvolumen der Projekte gewichtet und im Zeitverlauf indexiert und geglättet. Nach dem Nachhaltigkeitsboom der Jahre 2009 bis 2014 ist das Thema immobilien- und bauseitig etwas eingeschlafen. Obwohl die Gründe dafür vielfältig sind, dürften doch drei Hauptkriterien für diese Entwicklung verantwortlich sein.

Grund 1: Beeinflussung durch Energiekosten

Erstens waren Energiekosten bis Ende 2017 kein grosses Thema. Der Index der Heizölkosten ist von 2014 bis 2015 um fast 30% gesunken. Mit einem Jahr Verzögerung folgte der Index «Nachhaltigkeit im Bestand» ebenfalls mit einem Rückgang von 30%. Die Möglichkeiten der Kosteneinsparungen haben sich dadurch deutlich verringert. Der deutliche Anstieg der Energiekosten hilft nun wiederum, das Thema Nachhaltigkeit weiter zu verankern.

Grund 2: Normalisierung nach Boom und Kostendruck

Zweitens folgte auf den Boom der Jahre 2009 bis 2014, der auch viele technologische Neuerungen hervorbrachte, die Zeit der Normalisierung. Bei vielen Bauteilen wird der Ersatz mit nachhaltigen Materialien heute als selbstverständlich angesehen. Hinzu kommt der Kostendruck. Hohe Landwerte bei gleichzeitiger Forderung nach günstigen Mietwohnungen haben den Druck auf die Baupreise erhöht. Bezeichnend ist, dass auch die Umbaukosten pro Wohnung von 2013 bis 2015 auf den Höchststand von rund CHF 226’000 angestiegen sind. Seit 2015 sind sie um 3.4% gesunken, während das mittlere Umbauvolumen um 2.9% angestiegen ist. Es wird somit grösser und tendenziell günstiger umgebaut.

Grund 3: Hohe Komplexität, jedoch Mangel an Know-how- und Fachkräften

Drittens hat sich das Thema Nachhaltigkeit zu einer interdisziplinären Wolke aus vielen Einzelelementen entwickelt. Es fehlen Fachkräfte und Know-how bei der Herleitung standortgerechter, ökonomisch und ökologisch sinnvoller Entwicklungs-, Projekt- und Objektstrategien und bei der energetisch optimalen konstruktiven Umsetzung. Mit diesem Mangel fehlt es auch vielen Immobilieneigentümern an Visionen und Energie, um das Thema wieder stärker voranzutreiben. Und dies, obwohl immer mehr Aktionäre einen grossen Wert auf nachhaltige Investments legen.

Quelle: Baublatt/Bauinfo-Center Docu Media, Hochschule Luzern, Bundesamt für Statistik (BfS)

Ausblick: Vier Gründe für eine neue Dynamik

Trotzdem stehen die Zeichen gut, dass nachhaltige Gebäude wieder mehr Beachtung finden werden. Erstens steht das Thema weit oben auf der politischen Agenda. Zweitens steigen die Preise fossiler Brennstoffe seit geraumer Zeit wieder an. Drittens dreht der Wohnungsmarkt von einem Vermieter- zu einem Mietermarkt. Und viertens werden auch Aktionäre von Immobilienanlageprodukten nachhaltige Kriterien in ihren Investitionsentscheiden berücksichtigen.

Bauteilfokus ist matchentscheidend

Für wirksame und ökonomische Sanierungen auf Objektebene muss auf Bauteile, deren gegenseitige Abhängigkeiten und korrekte konstruktive Ausführung fokussiert werden. Abbildung 2 visualisiert die Verteilung aller in der Datenbank erfasster energierelevanter Bauteile von Umbauprojekten (Mietwohnungen) seit 2009. Der Fensterersatz mit Isolier- und Schalldämmglas macht 35% aller dargestellten Baumassnahmen aus. Dies geht häufig einher mit Aussen- und/oder Innenwärmedämmung, Solar-, Gasheizungen oder Wärmepumpen. Zum Vergleich dieser Massnahmen spielt die Ölheizung beim Heizungsersatz kaum noch eine Rolle.

Quelle: Baublatt/Bauinfo-Center Docu Media, Hochschule Luzern

Standardmassnahme Fensterersatz mit Dämmung; Wärmepumpen auf dem Vormarsch

Der Fensterersatz mit Isolier- und Schalldämmglas ist auch auf die Projekte bezogen mit Abstand die häufigste Massnahme. In der Periode 2015 bis 2017 wurden in 75% aller analysierten Sanierungsprojekte die Fenster getauscht. Die Aussenwärmedämmung folgt mit 29%. Fensterersatz und Dämmung der Hülle haben sich gewissermassen zu Standardmassnahmen entwickelt. Leider jedoch mit einem Sättigungseffekt. Das Wachstum hat deutlich nachgelassen. Technisch elaborierte Lösungen mit der Verwendung von Wärmepumpen zur Warmwasserversorgung oder für Heizsysteme haben markant zugenommen, von 12.4% auf 16% in der letzten Messperiode.

Implikationen für Immobilieneigentümer

Für Investoren, die Wohnungen vermieten, sind Nachhaltigkeit und Energieeffizienz kein Selbstzweck. Investitionen, die in diesem Bereich getätigt werden, müssen für das Unternehmen einen Wert generieren. Lassen sich nachhaltige Sanierungen über höhere Mieteinnahmen rentabilisieren, ist der Fall einfach. Nachhaltige Sanierungsmassnahmen können jedoch durch höherwertige Materialien auch die langfristigen Instandsetzungskosten reduzieren oder sich durch besseren Komfort und höhere Reputation von den leer stehenden Nachbarüberbauungen abheben. Dadurch sinkt der Leerstand.

Integraler Datensatz: Von der Baubewilligung zur Wohnungsvermarktung

Ein Manko bisheriger Forschung ist der eingeschränkte Blickwinkel aus entweder Bau- oder Immobiliensicht. Interdisziplinäre Ansätze sind rar. Ein erster Versuch, datentechnisch eine Brücke zwischen der Produktions- und Nutzungs-/Investitionsseite zu schlagen, ist die Verknüpfung von projektspezifischen Informationen des Docu Media Bauinfo-Centers mit dem späteren Vermarktungs- und Vermietungsprozess einzelner Wohnungen dieser Projekte. Konkret wurden hierfür die rund 900 grössten Umbauprojekte der letzten 9 Jahre aus der Baubewilligungsdatenbank von Docu Media Schweiz (Infomanager) selektioniert und mit Wohnungsangeboten dieser Liegenschaften in Übereinstimmung gebracht. Dies ermöglicht vielfältige Aussagen über die Vermietung sanierter Wohnungen.

Die Ergebnisse dieser Analyse präsentieren wir Ihnen im nächsten Blog-Beitrag am 15. Oktober 2018.

Die gesamte Studie «Nachhaltigkeit im Bestand: Wirtschaftlichkeit, technische Machbarkeit und politische Wünsche» der Implenia AG (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern können Sie hier beziehen.

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