20. November 2017

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Digital leben in Siedlungen und Quartieren

Digital leben in Siedlungen und Quartieren

Digitale Lösungen halten Einzug im Wohnumfeld. Die Kommunikation unter Nachbarn, die Kommunikation mit der Hausverwaltung oder die Einsicht in Betriebsanleitungen können heute auch digital über eine sogenannte Quartierapp erfolgen. Diese soll sowohl von Bewohnern und Bewirtschaftern als auch von lokalen Anbietern genutzt werden und für alle Beteiligten einen Mehrwert generieren. Dies kann aber nur dann funktionieren, wenn möglichst viele Bewohner, möglichst oft auf der App aktiv sind.

Brigitte Moser, Stefan Zanetti

Digitale Lösungen halten Einzug in allen Lebensbereichen, auch und gerade im Wohnumfeld. So vernetzt die Menschen heute sind, so lokal ist ihr Leben immer noch geblieben: Und lokal gibt es eine grosse Anzahl an Herausforderungen, die mit digitalen Lösungen gut adressiert werden können. Die Kommunikation unter Nachbarn, die Kommunikation mit der Hausverwaltung oder die Einsicht von Betriebsanleitungen sind nur einige Beispiele dafür. Allthings hat eine Quartierapp entwickelt, welche für Bewohner, für Bewirtschafter und für lokale Anbieter nutzbar ist und für alle Seiten einen Mehrwert bringen soll. Dies funktioniert dann wenn möglichst viele Bewohner regelmässig auf der App aktiv sind. Zwei Fragen sind deshalb zu beantworten: Welche digitalen Lösungen im Wohnumfeld interessieren die Nutzer? Und wie gelingt es, solche digitalen Lösungen für Quartiere erfolgreich zu lancieren und so zu gestalten, dass sie dauerhaft genutzt werden?

Einleitung: Eine digitale Quartierplattform

Guten MorgenHerr Bernasconi, herzlich willkommen in Ihrer neuen Wohnung: Hier sind die Schlüssel und hier ist der Zugangscode zur digitalen Welt rund um Ihre Wohnung und rund um unser Quartier.“ So oder ähnlich findet eine Schlüsselbergabe in Siedlungen statt, die mit einer Quartierapp ausgestattet worden sind. Mit solchen Apps erhält ein geographisch beschränkter Benutzerkreis ein eigenes „soziales Medium“.

Siedlungs- und Quartierapps beinhalten typischerweise verschiedene Funktionen wie Informationen zur Liegenschaft, Anleitungen zur Wohnung, einen Marktplatz, die Anzeige des eigenen Energieverbrauchs, eine Community-Pinnwand sowie ein Service- Center für die Kommunikation mit der Hausverwaltung. Häufig genutzt wird die Community-Pinnwand, um über Nachbarschaftsthemen zu informieren. Auch der Marktplatz, mit dessen Hilfe Gegenstände geliehen oder verkauft werden können, sowie die Energieanzeige erfreuen sich grosser Beliebtheit. Es entsteht aber nicht nur für die Bewohner ein Nutzen, sondern auch für Bewirtschafter und Eigentümer. Aus Perspektive der Eigentümer lässt sich dank der App der wahrgenommene Wert der Mietwohnungen steigern. Ausserdem wirkt sie einer Anonymisierung entgegen und hilft mit, Quellen für Probleme viel rascher zu erkennen und zu beheben. Auch kann die App wichtige Erkenntnisse in Bezug auf den Unterhalt und für spätere Erneuerungen oder Neubauprojekte liefern. Bewirtschafter ihrerseits können von Effizienzsteigerungen (z. B. durch automatisierte Schadensmeldungen) profitieren. Aber auch für lokale Anbieter im Quartier entsteht ein Mehrwert. So können beispielsweise umliegende Bäckereien oder Cafés die App nutzen und darüber auf Angebote und Veranstaltungen aufmerksam machen.

Der Mehrwert der Quartierapp ist für alle Beteiligten dann gross, wenn möglichst viele Nutzer sich regelmässig auf der App bewegen. Nur dann sind Effizienzsteigerungen bspw. in der Bewirtschaftung erreichbar. Nur dann kann eine gewisse Dynamik oder eben ein „Quartier-Feeling“ entstehen. Wenn ich weiss, dass meine Nachbarn die Neuigkeiten der Pinnwand lesen, dann suche ich meine entlaufene Katze über die App, anstatt Zettel zu drucken. Auch spontane Anfragen, ob jemand beim Spiegel-Aufhängen helfen, oder eine Bohrmaschine ausleihen könne, platziere ich dann einfach auf der App. Damit sich möglichst viele Nutzer von der App angesprochen fühlen, sich anmelden und die App nutzen, ist es entscheidend, Funktionen anzubieten, welche die Mieter interessieren, und es ist entscheidend, die App erfolgreich zu lancieren. Diesen beiden Aspekten wird in der Folge vertieft Aufmerksamkeit geschenkt.

Was Nutzer interessiert

In Zusammenarbeit mit dem „Mobiliar Lab für Analytik“ der Mobiliar Versicherung ist qipp deshalb in einer Studie zu digitalen Wohnservices (vgl. Bürki, Stöcklin, Zanetti & Moser, 2015) für Mieter folgenden Fragen nachgegangen: Welche realen Probleme haben Nutzer von Immobilien, insbesondere Mieter, in den letzten 12 Monaten konkret erlebt? Und wie schätzen sie den Nutzen digitaler Assistenzdienste zur Lösung genau dieser Probleme ein? 1’000 Mieterinnen und Mieter in der Deutsch- und Welschschweiz wurden in einer repräsentativen Online-Umfrage im Februar 2015 zu ihren Bedürfnissen befragt: Dabei sollten sie angeben, wie oft das jeweilige Bedürfnis in den letzten 12 Monaten aufgetreten ist, und wie sie die Attraktivität von vorgeschlagenen digitalen Wohnservices bewerten.

Abgefragt wurden Bedürfnisse aus den folgenden fünf Bereichen: Wohnungsdokumentation (z.B. Abruf von Bauplänen, Gebrauchsanweisungen oder Informationen zum Wohnquartier), Komfort (z. B. Zugang zu professionellen Dienstleistern für Reinigungsarbeiten o. Ä., Einkauf und Lieferung von regionalen Produkten), Nachhaltigkeit (z.B. Überwachen und Vergleichen des eigenen Energieverbrauchs sowie Aufzeigen von Energiesparmöglichkeiten), Problembehebung (z. B. Finden von Ersatz- teilen für Haushaltsgeräte, Meldung von Pro- blemen an die Verwaltung), Nachbarschaft (z. B. Verkauf, Verleih oder Vermietung von Gegenständen in der Nachbarschaft, Organisation von Nachbarschaftshilfen).

Insgesamt standen 29 mögliche digitale Services zur Auswahl. Die überraschende Erkenntnis dabei war: Nur 5 % der Befragten haben keinen einzigen der Services als „interessant“ bezeichnet. 85 % aller Befragten dagegen bewerteten mindestens sechs

Services als interessant. Der Median lag bei 14 digitalen Services, die ein Nutzer gerne in einer Assistenzapplikation zu seiner Wohnung sehen würde. Alles in allem zeigt sich also eine ausserordentlich hohe Zustimmung von Mietern gegenüber digitalen Lösungen rund um ihre Immobilie. Aber welches Bild zeigt sich im Detail?

Dokumentation. Rund um Dokumentationsaufgaben wurden vier mögliche Bedürfnisse abgefragt: Pläne oder andere Informationen zur Wohnung abrufen, Gebrauchsanweisungen und/ oder Reinigungsinformationen finden, Informationen über das Quartier suchen und Informationen über freiwerdende Wohnungen finden. Sämtliche zur Diskussion gestellten Lö- sungen rund um Dokumentation adressieren offensichtlich reale Probleme, denn jeweils zwischen rund 40 und 55% der Nutzer gaben an, diese Probleme in den letzten zwölf Monaten angetroffen zu haben. Entsprechend sind digitale Lösungen rund um Dokumentation auch erwünscht: Im Schnitt wünschen sich etwa 60% der Befragten „Dokumentation rund um ihre Wohnung“ in Zukunft digital.

Convenience- und Comfort-Dienste. Im Bereich Komfort wurden die Bedürfnisse erfragt. Am häufigsten suchten die Befragten nach jemandem, der Reinigungsarbeiten für sie übernimmt oder nach Unterstützung bei der Wäschepflege sowie nach Produkten, die das Wohnen komfortabler und sicherer machen (z.B. Rauchmelder, Nachtlicht, „Smart-Home“). Andere mögliche Herausforderungen, z.B. Unterstützung bei der Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen, wurden weit weniger geäussert: Es zeigt sich, dass dies jeweils Bedürfnisse von relativ kleinen Zielgruppen sind. Würden Services digital vorliegen, nannten die Befragten interessanterweise Services für die Organisation von Hol- und Bringdiensten und die Lieferung von regionalen Frischprodukten nach Hause als besonders attraktiv.

Nachhaltigkeitsorientierte Dienste. Unter nachhaltigkeitsorientierte Dienste fielen die digitalen Bedürfnisse. Über 60% der Befragten waren im Jahr zuvor mit allen erfragten Bedürfnissen im Bereich Nachhaltigkeit konfrontiert, die Inanspruchnahme eines Car-Sharing-Diensts ausgenommen (<25 %). Als dementsprechend attraktiv bewerteten die Befragten diese digitalen Services. Die tiefere Zustim- mungsrate zu Car-Sharing-Diensten mag einerseits die Bedürfnislage widerspiegeln; andererseits ist der Themenkomplex Mobilität möglicherweise für die Nutzer nicht direkt mit Wohnen verbunden und ein Rückgriff auf etablierte digitale Dienste hier das Mittel der Wahl.

Gesamthaft gesehen, bieten Nachhaltigkeitsservices das grösste Potenzial für digitale Dienste rund um das Wohnen. Die Bedürfnisse, welche durch die Services bedient werden, sind weit verbreitet und die vorgeschlagenen Services werden sehr positiv bewertet. Es bestehen jedoch noch kaum digitale Services in diesem Bereich.

Problembehandlung. Mögliche Bedürfnisse, die bei der Behandlung von Problemen zu Hause auftreten können, wurden abgefragt. Über 80 % der Befragten erlebten innerhalb der letzten 12 Monate die Situation, den Verwalter oder Hauswart über ein Problem informieren zu müssen; die Hälfte der Befragten suchte nach passenden Ersatzteilen. Digitale Services zur Befriedigung dieser Bedürfnisse wurden entsprechend attraktiv bewertet. Obwohl nur etwa ein Drittel der Befragten nach Hilfe beim Reparieren eines Gegenstandes suchte, wurde dieser Service in digitaler Form als am attraktivsten bewertet.

Nachbarschaftsorientierte Dienste. In diesen Bereich fielen die Bedürfnisse und Dienste. Über 50 % der Befragten bewerteten alle digitalen nachbarschaftsorientierten Dienste als attraktiv. Etwa die Hälfte aller Befragten war im Jahr zuvor damit konfrontiert, einen Helfer für etwas zu finden (z.B. Nachhilfe oder Handreichung) oder wollte etwas in der Nachbarschaft ausleihen oder verleihen. Nur wenige suchten nach einer Möglichkeit für den Kauf und Verkauf sowie das Mieten und Vermieten von Gegenständen in der Nachbarschaft. Sie würden digitale Services, die dies erleichtern, aber attraktiv finden. Diese Dienste haben über alle abgefragten Services sogar das grösste Steigerungspotenzial.

In der Praxis. Rund um Immobilien und um das allgemeine Thema „ein besseres Leben zu Hause“ ist, wie die Studie zeigt, grosses Potenzial für digitale Services vorhanden. Mieter haben konkrete Herausforderungen zu Themen wie Dokumentation, Convenience & Komfort, Nachhaltigkeit, Problembehandlung und Nachbarschaft erlebt und bewerten digitale Assistenzdienste zur Befriedigung dieser Bedürfnisse als attraktiv.

Auch die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass digitale Services rund um das eigene Zuhause und das Quartier beliebt sind: In einem Pilotquartier in Basel haben sich beispielsweise 92 % der Mieter auf der Applikation zu ihrem Quartier registriert. Sie besuchen die Plattform durchschnittlich einmal pro Tag. Im Bereich der Nachbarschaft werden auf der Community-Pinnwand täglich mehrere Beiträge geschaltet, kommentiert und „geliked“. Grosse Nachfrage besteht auch nach dem Marktplatz, auf welchem Dinge wie Brettspiele, Werkzeug etc. zum Verkauf oder Tausch angeboten werden können, sowie nach der regelmässigen Einsicht und Kontrolle des eigenen Energieverbrauchs.

Offen bleibt, über welche Kanäle solche Dienste den Mietern zukünftig angeboten werden. Sind es klassische Anbieter der Immobilienindustrie, und wenn ja, welche? Werden die Bewirtschafter oder eher die Eigentümer und Asset-Manager die Einführung solcher vorantreiben, weil sie damit die Immobilien mit Mehrwerten aufladen oder Effizienzaspekte, z.B. in der Vorfallbearbeitung, erzielen? Oder treten neue Anbieter auf, die solche Dienste neben der bestehenden Industrie aufbauen, gegebenenfalls in Kombination mit Angeboten ganz anderer Industrien wie z. B. der Telekommunikation oder der Energieversorgung?

Die Zukunft wird dies zeigen. Sicher ist, dass Lösungen, die auf derart hohe Zustimmungsraten bei Nutzern stossen, sich ihren Weg bahnen und sich über kurz oder lang im Markt etablieren – und damit so oder so relevant werden für die bestehende, traditionelle Industrie.

Digitale Lösungen lancieren

Die Nutzenpotenziale von digitalen Lösungen im Mieterumfeld sind also offensichtlich gegeben – weniger klar ist, wie möglichst viele Nutzer dazu gebracht werden, sich zu registrieren, die digitalen Lösungen aktiv zu nutzen und bestenfalls auch auf den Plattformen selbst Wert zu schaffen. Mit dieser Frage muss sich allerdings jeder digitale Dienst auseinandersetzen. Rund um Lancierung und Aktivierung von Nutzern haben sich, insbesondere in den USA, zahlreiche Best Practices entwickelt. Im Kern geht es darum, den Prozess vom ersten Darauf-Aufmerksam-Werden bis zur langfristigen Nutzung im Detail zu verstehen und so zu designen, dass möglichst keine Barrieren entstehen und möglichst viel Konversion von einem Schritt zum nächsten entsteht.

AARRR – Pirate Metrics. Bewährt hat sich das von Dave McClure stammende AARRR-Konzept (vgl. McClure, 2007), auch „Pirate Metrics“ genannt. Dave McClure ist Gründer von „500 Startups“, einem Start-up-Accelecator mit über 1’000 Start-ups im Portfolio. 500 Startups unterstützt junge Unternehmen in Form von Finanzierung, Coaching und Infrastruktur bei der weiteren Entwicklung des Produkts und erhält im Gegenzug Unternehmensanteile (vgl. 500 Startups, online). Dave McClure ist über- zeugt, dass sich ein Start-up auf Metriken in fünf Bereichen konzentrieren sollte, um erfolgreich zu sein. Dafür entwickelte er das „AARRR-Model“l . AARRR ist eine Abkürzung für Acquisition, Activation, Retention, Referral, Revenue und dient als Framework, um verschiedene Metriken – wie z. B. Konversionsrate – entlang des Kundenprozesses zu ordnen. Die Metriken ihrerseits können durch zahlreiche Methoden beeinflusst werden. So entstehen über die Zeit Best Practices und Methodensammlungen, die als Werkzeugkoffer aufbereitet, alle dem Ziel dienen, möglichst hohe Werte in den einzelnen Schritten des Kundenprozesses zu erreichen.

Wir stellen in der Folge typische Metriken pro Prozessschritt und je ein branchenfremdes Beispiel für eine erprobte Methodik sowie ein Beispiel einer Anwendung auf digitale Lösungen rund um Siedlungen und Quartiere dar.

Acquisition. Welche Kanäle sind es, die den Nutzer auf die Plattform bringen? Als besonders wichtig gelten Kanäle, die eine grosse Anzahl an Nutzern bringen (volume), die wenig kosten (cost per user) und die zu einer hohen Anmelderate führen (conversion rate).

Die Nutzerzahl des Geldmanagement-Tools Mint (vgl. Mint, online) beispielsweise, das dem Nutzer in Echtzeit einen anschaulichen Gesamtüberblick über seinen finanziellen Status verschafft, wuchs in nur zwei Jahren auf über 1.5 Millionen an. Wie wurden die Nutzer auf Mint aufmerksam? Über 20 % der Nutzer kamen über SEO und Content Marketing. Dies war kein Zufall. In der Rubrik „Mint Answers“ beispielsweise, beantworteten Experten und Nutzer Fragen anderer Nutzer zu verschiedenen persönlichen Finanzthemen: Auch in einem eigenen Blog wurden diese Themen behandelt und Nutzer aufgerufen, von eigenen Geschichten über die Inhalte ihrer Geldbörsen oder finanzielle Fehlentscheidungen zu berichten. Wer „Mint Answers“ als Informationsquelle nutzte oder Mints Blog las, war in vielen Fällen auch ein Besucher der Landingpage von Mint. Üblicherweise wird im AARRR-Modell unter Acquisition verstanden, dass Nutzer auf die Plattform aufmerksam werden und sich die Plattform anschauen oder auf der Landingpage „landen“. Sobald sich ein Nutzer auf der Plattform anmeldet, geht es über in die nächste Phase; es wird nun von Activation gesprochen. Rund um digitale Lösungen für Immobilien scheint es uns jedoch nützlich, das Anmelden noch unter der Phase Acquisition zu führen. Dies deshalb, weil durch das Vorhandensein des physischen Objekts „Immobilie“ bestehende Kanäle genutzt werden können, um die Leute auf die digitalen Services rund um die Immobilie aufmerksam zu machen. Konkret kommen die Mieter, Käufer oder Mitarbeitende von Mietern von Immobilien via Immobilienverwaltung einfach in Kontakt mit den digitalen Services, die dazu angeboten werden.

Die relevanten Messgrössen finden sich hier rund um die Konversionsrate von Mietern zu angemeldeten Nutzern. So ist das Verhältnis zwischen Anzahl angemeldeter Personen und Anzahl vermieteter Wohnungen eine wichtige Metrik, die sich steigern lässt, indem z.B. der Hausverwalter das Sign-up mit dem neuen Mieter direkt bei der Unterzeichnung des Mietvertrages oder bei der Schlüsselübergabe durchführt. Führt der Hausverwalter die Anmeldung direkt mit dem Mieter durch, sind Konversionsraten von über 90 % er- reichbar. Gründe dafür sind: keine technischen Hürden (die Anmeldung wird durch jemanden vorgenommen, der den Prozess kennt), vorhandene Vertrauensbasis (die Beziehung ist bereits etabliert) und inhaltliche Authentizität (digitales Serviceangebot passt inhaltlich und thematisch zur Situation der Schlüsselübergabe). Der Hausverwalter wird in diesem Sinne also als „Kanal“ gesehen, der den Mieter auf die Plattform bringt. Die Nutzung der Schlüsselübergabe zur direkten Anmeldung der Mieter ist die effektivste und günstigste Methode, um hohe Konversionsraten zu erreichen.

Activation. Nachdem der Nutzer auf der Plattform „gelandet“ ist, folgt die nächste Herausforderung: Schaffen wir es, den Besucher zu einer ersten Aktion zu motivieren? Als typische erste Aktion gilt die Anmeldung bei der Plattform (Sign-up). Wie im vorhergehenden Abschnitt beschrieben, kann es im Immobilienumfeld Sinn machen, das Sign-up bereits zur Phase der Acquisition zu rechnen. Wird die Anmeldung noch zur Acquisition gerechnet, dann können die ersten Aktivitäten der Phase Activation beispielsweise sein: Der Nutzer stellt eine Frage, er kommentiert etwas, er lädt etwas hoch, er setzt ein „Like“, er füllt sein Profil etc. Metriken für die Messung der Aktivität von Mietern sind dann neben der auf der Plattform verbrachten Zeit und der Anzahl aktiver Nutzer vor allem die Anzahl der Posts, Kommentare und Likes durch Nutzer.

Als Beispiel für eine Best Practice im Markt gilt das interaktive Onboarding von Quartz (vgl. Quartz, online), einer Online-News-Plattform. Besucher werden hier in einer Art Chat direkt von Quartz angeschrieben und zu ersten Aktivitäten „verführt“. Um das „Aktiv- werden“ so einfach wie möglich zu machen, müssen die Nutzer nicht selber etwas schreiben, sondern haben die Möglichkeit, mit einer Auswahl an vorgefertigten Antworten zu antworten. Während sich die ersten Fragen noch so anfühlen, als würden Einstellungen vorgenommen (z. B. Erteilen einer Berechtigung für Push-Nachrichten), geht es in den weiteren Schritten bereits darum, die Plattform kennenzulernen. Nach dem Onboarding von Quartz ist der Nutzer nicht nur angemeldet und hat Berechtigungen erteilt, sondern er hat auch die wichtigsten Funktionen kennengelernt und – wichtig – bereits selber erfolgreich ausprobiert. Die Hemmschwelle für Nutzer-Aktivität ist dadurch so tief wie möglich gesunken.

Ein solches interaktives Onboarding lässt sich auch auf das Quartier übertragen. Ebenfalls bewährt hat sich die Methode, einer Applikation im Immobilienumfeld bei der Lancierung „virtuelle Nachbarn“ mitzugeben. Diese Nachbarn sind insbesondere in den ersten 3–6 Wochen nach der Lancierung sehr aktiv und machen als gute Vorbilder Aktivitäten vor, welche von den Nutzern erwünscht sind und nachgeahmt werden sollen. Solche Vorbilder wirken in zweierlei Hinsicht: Erstens füllen sie einen ansonsten noch leeren Raum und nehmen den Nutzern das Gefühl, etwas Mutiges, Neues, Auffallendes zu tun. Zweitens prägen sie die Meinung der Nutzer, welche Aktivitäten auf der Plattform gewünscht und erwartet werden. Auf diese Weise lässt sich das Risiko mindern, unerwünschte Aktivitäten zu sehen.

Retention. Hat sich ein Nutzer angemeldet und ist erstmals aktiv geworden, stellt sich die Frage: Kommt er ein zweites und ein drittes Mal? Ziel ist natürlich, dass der Nutzer regelmässig zum Angebot zurückkehrt. Je öfter die Nutzer zurückkehren, als umso wertvoller gelten sie. Sinnvolle Metriken hier sind daher die „Anzahl wiederkehrender Besucher“ und die „Bindungsrate“. In Apps für Siedlungen und Quartiere eignet sich als Metrik für Retention bspw. die Anzahl der Besuche pro Woche.

Als eine Best Practice im Markt für Retention gilt die Browserintegration, z.B. bekannt von Pinterest. Hierbei dockt der Nutzer den Pinterest-Button an seinen Browser an und kann so jedes spannende Bild, welches er im Internet sieht, auf seine Pinnwand pinnen, ohne zuerst in einem neuen Browserfenster Pinterest öffnen zu müssen. Mit jedem Pin stattet er Pinterest einen Besuch ab und gilt damit als rückkehrender Besucher.

Eine entsprechende Anwendung im Quartier sind z.B. Digest-E-Mails. Dies sind E-Mails an den Nutzer, welche ihm zusammenfassen, was in der Zwischenzeit so alles auf der Plattform vor sich gegangen ist, und welche Beiträge von anderen Mitgliedern gepostet wurden. Die Zusammenfassungen sind so gehalten, dass nur Teile der Inhalte angezeigt werden und der Nutzer die Plattform aufsuchen muss, um die gesamten Posts lesen zu können. Der Nutzer wird so – je nach Einstellungen täglich oder wöchentlich – daran erinnert, was im Quartier passiert und dazu motiviert, die Plattform zu besuchen und im besten Fall selber aktiv zu werden.

Referral. Ist ein zufriedener Kunde gewonnen, der regelmässig zum Angebot zurückkehrt, sind die Schlüsselfragen beim Referral nun: Ist dieser Kunde auch der Ansicht, dass seine Freunde von dem Produkt profitieren könnten? Empfiehlt er es weiter? Typische Metriken dieser Phase sind die Anzahl der versandten E-Mail-Empfehlungen oder Shares in sozialen Netzwerken. Es kann auch interessant sein, die Konversionsrate zu messen: Wie viele Freunde, an die die Empfehlung gesendet worden ist, melden sich tatsächlich an? Letztere Metrik ist insbesondere interessant, um Meinungsbildner auf der Plattform zu identifizieren. Auch in Siedlungen und Quartieren bilden die Anzahl der versandten Empfehlungs-E-Mails sowie Empfehlungen über andere Social-Media-Kanäle relevante Metriken. Da die Anmeldung im Idealfall durch den Kanal „Verwaltung“ gesteuert wird und bereits bei der Schlüsselübergabe erfolgt, steht aber die Frage im Vordergrund, wie ein Mieter einen anderen Mieter dazu motivieren kann, auf der Plattform aktiv zu werden. Mittels Aktionen, wie z. B. „Fotowettbewerb im Quartier“, „Wir stellen uns vor“ oder „Teile deine besten Tipps zum Energiesparen“ lässt sich die Anzahl Antworten zählen. Wurden aktive Nutzer identifiziert, kann diese Gruppe auch zusätzlich mit Ideen unterstützt werden, wie sie wiederum die anderen Nutzer zu Aktionen animieren kann. Wichtig ist, dass die Plattform überhaupt die Möglichkeit bietet, Weiterempfehlungen vorzunehmen (Weiterempfehlungs- und Share-Buttons).

Dropbox gilt als das Paradebeispiel für eine gelungene Referral-Praxis: Hier wird jede Weiterempfehlung belohnt. Jeder Nutzer, der einen Freund zum Mitmachen einlädt, erhält kostenfrei mehr Speicherplatz zur Verfügung. Andere Online-Dienste haben diese Form von Referral übernommen und belohnen ihre Nutzer über den zusätzlichen Speicherplatz hinaus z. B. mit Premiumfunktionen oder einem Test-Monat der Premiumversion (z. B. „overleaf“).

Revenue. Jetzt wird der Nutzer zum Kunden: Er ist bereit, für die Nutzung des Angebots zu zahlen, indem er beispielsweise eine monatliche oder jährliche Zahlung leistet. Eine typische Metrik sind im Allgemeinen sowie im Siedlungs- und Quartiers- fall die Anzahl sowie die Zahlungsbereitschaft der zahlenden Nutzer. Die oben erwähnte Studie des Mobiliar Labs und von qipp hat ebenfalls gezeigt, dass die Hälfte aller Mieter bereit ist, für Services mit Mehrwert zu zahlen. So können digi-ale Service-Lösungen in Quartieren und Siedlungen auch durch das Angebot von kostenpflichtigen Services, z. B. Wohn- services wie Reinigung, oder durch kostenpflichtige Funktionen ergänzt werden. Letzteres ist insbesondere da interessant, wo Businessoptionen angeboten werden können.

Beispiele aus der Praxis finden sich viele, u.a. Trello, eine Plattform, welche den Nutzern mit einem bedienungsfreundlichen

Task-Managementsystem dabei hilft, Dinge zu organisieren. Trello stellt die Grundfunktionalitäten allen Nutzern kostenfrei zur Verfügung, erhebt aber für Business- und Enterprisefunktionen, wie z. B. Teamfunktionalitäten eine Gebühr. Typische kostenpflichtige Leistungen sind Integrationen mit anderer Software, Teamfunktionalitäten, Customizing, grössere Datenmengen, Sicherheitsfunktionen oder Zugang zu Analytics.

Ebenfalls könnten sich „Bündelangebote“ einer Beliebtheit erfreuen. So scheint es plausibel, WLAN, Kollektiv-Hausratsversicherungen oder Bio-Gemüselieferungen für alle Bewohner anzubieten. Im Kontext von Quartierplattformen dürfte die Rentabilität vorderhand eher sekundär sein. Sowohl Eigentümer als auch Bewirtschafter ziehen aus der Optimierung der Kommunikation mit den Bewohnern in der Regel ausreichend Nutzen, sodass ein Grundangebot wahrscheinlich gratis zur Verfügung gestellt werden kann.

Folgerungen für Quartierplattformen

Das Potenzial für Quartierplattformen ist gross. Mieter haben konkrete Bedürfnisse zu Themen wie Dokumentation, Convenience & Komfort, Nachhaltigkeit, Problembehandlung und Nachbarschaft. Auch ist die Akzeptanz von digitalen Lösungen zur Befriedigung dieser Bedürfnisse beträchtlich. Gleichzeitig bieten Quartierplattformen Vorteile für weitere Parteien, wie die Bewirtschafter der Siedlung, deren Eigentümer oder die lokalen Anbieter im Quartier.

Damit der durch alle Parteien angestrebte Nutzen einer Quartierplattform erreicht werden kann, muss erstens sichergestellt werden, dass ein passendes Set von Funktionen angeboten wird. Sollen in der Bewirtschaftung Effizienzgewinne erzielt werden, so benötigt es die entsprechenden Funktionen (z.B. Service-Center für Schadensmeldungen). Um die Angebote von lokalen Anbietern zu integrieren, benötigt es ebenfalls entsprechende Funktionen (z.B. Partner-Kanäle). Besonders wichtig aber sind diejenigen Funktionen, welche die Nutzer interessieren und dazu führen, dass möglichst viele Anwender sich anmelden, die Quartierapp oft besuchen und sie zu einem Bestandteil des täglichen Lebens werden lassen. Als beliebt erwiesen haben sich hier Community-Funktionen wie eine Pinnwand oder ein Marktplatz sowie Nachhaltigkeitsdienste wie z. B. eine Energieverbrauchsanzeige. Zweitens muss für eine erfolgreiche Quartierplattform auch eine erfolgreiche Lancierung und Nutzeraktivierung sichergestellt werden. Eine Quartierplattform hat im Gegensatz zu den meisten „normalen“ Online-Diensten den Vorteil, dass das Zielpublikum klar definiert ist und durch Bewirtschafter direkt (offline) angesprochen, zur Anmeldung motiviert und unterstützt werden kann. Vom Augenblick der ersten Kontaktaufnahme an aber, sind auch Quartierplattformen auf eine möglichst engagierende Nutzeraktivierung angewiesen, um erfolgreich zu sein. Wie in diesem Bericht aufgezeigt wurde, lässt sich die Logik des AARRR-Modells bestens anwenden, um auch für Quartierplattformen Nutzeraktivierungs-Massnahmen zu planen und deren Erfolg zu messen und zu steigern.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Digitalisierungsbarometers. Die Studie ermittelt anhand einer breit angelegten, repräsentativen Erhebung bei den wichtigsten Akteuren der Immobilienbranche in der Schweiz, wie die Auswirkungen der Digitalisierung wahrgenommen werden und welche Auswirkungen für die kommenden Jahre erwartet werden.

Die gesamte Studie können Sie hier beziehen:

Digitalisierungsbarometer 2016 – Kundenverhalten und Geschäftsmodelle

Digitalisierungsbarometer 2017 – Digitales Planen und Bauen

Weiterführende Literatur

  • Bürki, G.-H., Stöcklin, L., Zanetti, S. & Moser, B. (2015). Digitale Wohnservices für Mieter. Online (18.03.2016): https://www.mobi.ch/static/mobi.ch/content/documents/DM_MM_Medien/Digitale_ Wohnservices_fuer_Mieter.pdf
  • McClure, D. (2007). Startup Metrics for Pirates. Online (18.03.2016): http://de.slideshare.net/dmc 500hats/startup-metrics-for-pirates-long-version/2-Customer_Lifecycle_5_Steps_to
  • Homepage. How it works. Online (18.03.2016): https://www.mint.com/
  • MintLife Blog. Homepage. Online (03.03.206): https://blog.mint.com/
  • Homepage. Quartz. Online (03.03.216): https://www.useronboard.com/how-quartz- onboards-new-users/?slide=61
  • Homepage. Online (03.03.2016): http://qz.com/
  • 500 Startups. Homepage. Online (18.03.2016): http://500.co/

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