28. Februar 2019

Business Intelligence / Analytics,

Risikomanagement

Erfolgsfaktor Mensch im Enterprise Risk Management – Teil 2: Ankereffekt

Erfolgsfaktor Mensch im Enterprise Risk Management – Teil 2: Ankereffekt


von Prof. Dr. Stefan Hunziker, Professor für Enterprise Risk Management und Internal Control, und Marcel Fallegger, Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ

Fokussiert sich Ihr Unternehmen auf die richtigen Risiken? Und schätzen Ihre Entscheidungsträger diese so ein, wie sie in Wirklichkeit sind? Diese Fragen gehören zum modernen Enterprise Risk Management (ERM). Dessen Aktivitäten sind nämlich anfällig für kognitive und gruppenspezifische Verzerrungseffekte. Welche dieser Verzerrungen Risk Manager verstehen müssen und wie sich diese in der Praxis effektiv reduzieren lassen, diskutiert eine zehnteilige Blogserie.

Entscheidungsträger stützen sich bei Risikoabwägungen oft auf eine Kombination aus Daten, Wissen und Erfahrung. Ob bewusst oder nicht, verlässt sich unser Gehirn dabei auf unbewusste psychologische Vorurteile. Letztere beeinflussen die Risikobeurteilung und haben damit wesentliche Auswirkungen auf die Erstellung und Abschätzung von Risikoszenarien. Verzerrte Szenarien können dazu führen, dass suboptimale oder gar fatale Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden.

In der heutigen VUCA-Welt stellen solche Verzerrungseffekte, wenn sie nicht aktiv gesteuert werden, selbst ein Risiko für Unternehmen dar. Im Rahmen dieser Blogserie stellen wir 10 für das ERM zentrale kognitive und gruppenspezifische Verzerrungen dar. Im zweiten Teil geht es um den Ankereffekt.

Was wird unter dem Ankereffekt verstanden?
Menschen gehen bei Entscheidungen oft von einem Anker aus. Dies kann z. B. eine Ankernummer (bez. Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadenpotenzial) sein, die dann leicht nach oben oder unten korrigiert wird. Wenn nicht auf Anhieb ein Anker verfügbar ist, wird ein Entscheidungsträger wahrscheinlich den erstbesten berücksichtigen. Z. B. wenn andere Teammitglieder im Rahmen einer Präsentation Zahlen, Statistiken oder andere Informationen präsentieren, orientieren sich die Entscheidungsträger (zu unreflektiert) daran.

Entscheidungsträger müssen darauf achten, dass diese Abkürzung (d. h. wir vermeiden eine zusätzliche Belastung durch Sammeln von neutraleren Informationen) oft zu falschen Entscheidungen führt. Informationsüberflutung und Zeitmangel machen Menschen zudem anfälliger für solche Verankerungen. Da die bewusste Abwägung von Chancen und Risiken ein Kernstück des ERM ist, muss sichergestellt werden, dass risikobasierte Entscheidungen nicht auf Verankerungen basieren.

Wie lässt sich dem Ankereffekt entgegenwirken?
Grundsätzlich lässt sich der Ankereffekt bei der Risikobeurteilung nicht gänzlich vermeiden. Es ist deshalb wichtig, die einem Anker zugrundeliegenden Daten und Annahmen zu berücksichtigen und zu diskutieren. Darüber hinaus müssen Risk Manager sicherstellen, dass Risikobewertungen flexibel bleiben und sie in Workshops oder Interviews offen sind für neue Informationsquellen. Insbesondere sollten sie bei der Risikoidentifikation den Befragten aus der Linie keine spezifischen Anker zur Verfügung stellen.

Ein erfahrener Risk Manager ist in der Lage, relevante Fragen zu stellen, die das Verankerungsverhalten eines Unternehmens aufdecken. Werden Risikobewertungen so durchgeführt, dass eine konstruktive Diskussion zu einem Konsens geführt hat? Werden Risiken neutral bewertet, ohne Ankernummern oder Ankerdaten vor der Risikobewertung anzugeben? Werden Risiken mit einer Instanz diskutiert, die im Rahmen von Risikobewertungen oder Risikoworkshops gegen den ersten Konsens argumentiert? Die Berücksichtigung dieser Fragen kann helfen, die Verankerungsneigung zu vermindern.

Wo finde ich weitere Informationen zum Ankereffekt?

  • Friedman, H. H. (2017). Cognitive Biases that Interfere with Critical Thinking and Scientific Reasoning: A Course Module. SSRN Electronic Journal. http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2958800
  • Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken (3rd Ed.). München: Siedler Verlag.
  • Shefrin, H. (2016). Behavioral Risk Management. Managing the Psychology That Drives Decisions and Influences Operational Risk. New York: Palgrave Macmillan.
  • Wolf, R. F. (2012). How to Minimize Your Biases When Making Decisions. https://hbr.org/2012/09/how-to-minimize-your-biases-when

Eine umfassende Auseinandersetzung mit den wichtigsten Verzerrungseffekten im Risk Management wird zudem im Lehrbuch Enterprise Risk Management – Balancing Risk and Reward von Prof. Dr. Stefan Hunziker im Herbst 2019 bei Springer Gabler erscheinen.

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