Ein Beitrag von Joe Astrachan, Hermut Kormann, Claudia Binz Astrachan und Andrew Keyt
Keine Situation verdeutlicht den Wert eines Verwaltungsrats – insbesondere seiner externen Mitglieder – besser als eine Krise mit so gravierenden Auswirkungen, wie die Krise, die wir zurzeit erleben. In einer solchen Situation, die jenseits des Erfahrungsspektrums einer einzelnen Führungskraft liegt, ist es besonders wertvoll, dass die Verwaltungsratsmitglieder ihre jeweiligen Erfahrungen und Überlegungen zusammenführen können. Dieser Artikel wendet sich an Verwaltungsratsmitglieder in Familienunternehmen und reflektiert, wie in allen Arten von Krisen der Verwaltungsrat zum Wohle des Unternehmens und der Eigentümer beitragen kann.
In den letzten sieben Wochen haben wir (als Verwaltungsratsmitglieder, Coaches oder Berater) mit Familienunternehmen in allen Weltregionen gesprochen, um mit ihnen die Folgen der Krise zu beurteilen und effektive Maßnahmen zu entwickeln, wie diese Verwerfungen kurzfristig, aber auch in der langfristigen Wirkung zu bewältigen seien. Wir möchten hier unsere Erfahrungen aus diesen Begegnungen mit Familienunternehmern teilen. In diesen schwierigen Zeiten gilt es, jeden Erfahrungsaustausch zu nutzen, damit Familien und Unternehmen Handlungssicherheit und Zuversicht verstärken können.
Unsere Betrachtungen beziehen sich auf die Ebene des Verwaltungsrats und erörtern die Verantwortlichkeiten dieses Gremiums in einer beispiellosen Krise wie sie diese Pandemie darstellt. Dabei unterstellen wir durchaus, dass viele Maßnahmen bereits eingeleitet wurden, die mit unserer Checklist überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden können. Ganz generell gesprochen, hat der Verwaltungsrat in der Krise zwei wesentliche Beiträge zu leisten. Zum Ersten hat er die grundsätzlichen Annahmen zu prüfen, die das Unternehmen für sein Krisenmanagement ansetzt. Zum Zweiten sollte er der Familie eine klare Perspektive für den Weg durch die Krise aufzeigen – und muss sich dabei stets bewusst sein, dass all dies langfristige Konsequenzen hat.
Nachfolgend listen wir einige zentrale Fragen oder Themenbereich auf, welche der Verwaltungsrat möglichst zeitnah adressieren sollte. Diskutieren Sie diese wichtigen Punkte im Gremium, und legen sie so als Gruppe die Entscheidungsgrundlage für die kommenden Monate fest.
1. Grundlegende Annahmen Festlegen
(A) Dauer und Ausmaß der Krise
Wie lange wird die Krise dauern (z.B. maximal 6 Monate, 12 Monate, 18 Monate, länger)? Was ist der anzunehmende Kurvenverlauf der Schadenswirkung (also wann werden wir vermutlich am härtesten getroffen, kann es mehr als eine Spitze in den Auswirkungen geben, wann dürften diese Spitze oder Spitzen auftreten und für wie lange, wann erwarten wir den Wiederaufschwung und wie wollen wir uns schließlich auf all das vorbereiten)? Man sollte sich das Phänomens der „Verzögerten Wirkung“ aus der Feuerbekämpfung vergegenwärtigen. Die Flammen, die der Feuerwehrmann im Moment seines Auftretens sieht, entstanden als Glimmen am Brandherd vielleicht vor einer halben Stunde. Und das Feuer, das der Feuerwehrmann in einer weiteren halben Stunde zu bekämpfen hat, wird weit schlimmer sein als das, was er jetzt sehen kann.
(B) Geschäftsmodell
Müssen wir unser Geschäftsmodell, die Art und Weise wie wir unser Geschäft betreiben, grundsätzlich ändern, um zu überleben (z.B. Wechsel der Kundenbasis von den fehlenden Restaurantbesuchern zum Verkauf an Einzelkunden evtl. über den digitalen Kanal mit Lieferservice)? Eröffnet die Krise Chancen, die wir nutzen können, unter Beachtung unseres ethischen Kodex (z.B. erleichterte Gewinnung talentierter Bewerber)? Haben unsere Kunden es mit neuen Problemen zu tun, die wir helfen können zu lösen, oder wenigstens zu mildern?
(C) Mitarbeiter
Welches ist unsere Politik in unseren Mitarbeiterbeziehungen (z.B. Kurzarbeit oder verordneter Urlaub oder Gehaltskürzungen statt Entlassungen)? Wie versuchen wir die Belastungen der Eltern unter unseren Mitarbeitern abzufedern, die nun ganztags ihre Kinder daheim haben?
(D) Stakeholder-Beziehungen
Wie gehen wir mit den Stakeholdern – unseren Kunden und Lieferanten – um (z.B. verlängerte Rückgabefristen oder großzügige Handhabung von Zahlungszielen bei den Kundenforderungen einerseits und Flexibilität in der Begleichung der eigenen Lieferantenrechnungen andererseits, sofern man die Mittel dazu hat)?
2. Ausreichende und Effiziente Prozesse Sicherstellen
- In einer Krise gibt es einen natürlichen Drall dazu, dass die Spitze der Organisation „das Kommando übernimmt“. In einer Unternehmensgruppe mit mehreren Betriebsstätten oder Produktsparten sollten aber Krisen-Management-Teams auch in den Gliederungen der dezentralen Struktur eingesetzt werden. Diese werten den Informationsfluss seitens der Zentrale und anderer Bereiche aus, entwickeln die „Best Practice“ für ihren Verantwortungsbereich und tauschen die jeweils gefunden Lösungen mit den anderen Einheiten aus.
- Gerade so eine dezentrale Struktur verlangt aber auch eine zentrale Einheit, um die Aktionsprogramme zu verfolgen und bei potenziellen PR/Reputations-Themen kompetent reagieren zu können.
- Angesichts der Verantwortung des Arbeitgebers muss ein zentral angesiedelter Stab geschaffen werden, der Richtlinien für Arbeitssicherheit, verschärfte Hygienevorschriften, Quarantäne für Hoch-Risiko-Mitarbeiter und ähnliche Sicherungsregeln erlässt und ihre Einhaltung verfolgt.
3. Verfolgen und Vorantreiben von Fortschritten in der Umsetzung
In dieser Zeit rascher Veränderungen gilt es sich zu vergewissern, dass die Organisation schnell genug Fortschritte macht. Wöchentliche oder zwei-wöchentliche Telefonkonferenzen zwischen den Beiratsmitgliedern sollten in diesen außerordentlichen Zeiten die Norm sein. Diese Abstimmung zwischen Geschäftsführung und Verwaltungsrat dient folgenden Zwecken:
- Messen des Fortschritts: Insbesondere gilt es zu klären, ob und welche Pläne beschlossen worden sind, und dann zu verfolgen, ob diese Pläne auch energisch umgesetzt werden;
- Ständige Überprüfung, ob die Grundannahmen oder bestimmte Elemente des Planes an eine neue Lage angepasst werden müssen;
- Ermutigung der Geschäftsführung und Anerkennung ihrer Loyalität und ihres Arbeitseinsatzes;
- Sicherstellen, dass die verschiedenen Aktivitäten über das ganze Unternehmen hinweg koordiniert werden;
- Berichterstattung über besondere Entwicklungen bei den Mitarbeitern, bei den Kundenbeziehungen und den Lieferantenbeziehungen sowie über andere Krisenereignisse;
- Enge Verfolgung der Finanzlage, insbesondere des laufenden Cashflows, rechtzeitige Kommunikation mit den Kreditgebern, vorsorgliche Beantragung der verschiedenen Hilfsprogramme und rigorose Vorsorgeplanung, um gegebenenfalls den Cashflow zu steigern.
- Schließlich gehört es zur guten Praxis aller Führungsinitiativen, die jeweiligen Maßnahmen mit einem „Debriefing“ oder einer „Post-Action-Review“ abzuschließen. Dies gilt natürlich dereinst auch für das Ende dieser aktuellen Krise.
4. Kommunikation
- Kommunikation mit den Familiengesellschaftern: Die Familiengesellschafter müssen mit sachlichen Berichten, aber auch mit einer emotionalen Würdigung der Lage angesprochen werden. Der Kontakt sollte über die geeigneten Kommunikationskanäle ständig aufrechterhalten werden (Mails, Anrufe, Zoom/Skype, geschriebene Berichte).
- Kommunikation mit den Stakeholdern: Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung mit der Belegschaft und den Geschäftspartnern zu kommunizieren. Der Verwaltungsrat sollte die Geschäftsführung darin bestärken, diese Kommunikation auch in dieser angespannten Situation mit Zuversicht leisten zu können.
Hüten Sie sich vor diesen Fallgruben!
- Prüfen Sie sich, ob Sie ihren Präferenzen folgen oder den Notwendigkeiten entsprechen wollen. In einer solch angespannten Situation muss man besonders darauf achten, nicht das zu tun, was man gerne tun möchte, sondern das, was notwendig ist. Das gilt insbesondere bei den Entscheidungen im Personalbereich.
- Vermeiden Sie „Groupthink“. Wenn schnell entschieden werden muss besteht die Gefahr, dass sich die Entscheidungsgruppe der zuerst geäußerten Meinung anschließt – insbesondere, wenn sie von den Ranghöheren geäußert wird. Hier ist eine kollegiale Diskussionskultur im Beirat besonders wichtig, damit die Beiträge zur Problemlösung von jedem Mitglied ungefiltert eingebracht und gewürdigt werden.
- Scheuen Sie sich nicht vor einer Vollbremsung. Es gibt eine Regel für ein absicherndes Vorgehen in Gefahrensituationen: Wenn man mit erhöhter Geschwindigkeit auf eine undurchdringliche Nebelwand zufährt, ist es geboten, eine Vollbremsung zu machen und dann langsam die Geschwindigkeit so weit zu erhöhen, wie sie der dann erkennbaren Sichtlage angemessen ist. Das gilt auch wenn ein Unternehmen in eine völlig unübersichtliche Situation gerät. Die Ausgangsbeschränkungen sind ja so eine Art Vollbremsung im öffentlichen Leben. Eine Vollbremsung im Geschäftsgebaren kann auch bedeuten, die schmerzlichen Entscheidungen (z.B. Personalfreisetzungen) am Anfang der Krise zu treffen, um dann mit umso mehr Zuversicht wieder Fahrt aufnehmen zu können, wenn die Lage überschaubar wird. Man muss dies betonen, weil nun einmal die Handelnden vielfach die Neigung haben, erst einmal mit nicht so gravierenden Maßnahmen zu beginnen und diese dann zu steigern, wenn es unabweisbar wird. Eine solche Verzögerung bei Personalmaßnahmen ist noch nicht einmal im Interesse der letztlich Betroffenen, deren Arbeitsplatzsuche im Tief einer Krise nicht leichter wird.
- Halten Sie sich als Verwaltungsrat aus den operativen Fragen heraus. In Amerika haben wir den Spruch: „Nase reinhalten, aber Hände raushalten“. Man sollte „mit der Nase“ schon Witterung aufnehmen, wie das operative Geschäft sich entwickelt, aber man darf nicht eingreifen. Das ist Aufgabe der Geschäftsführung.
- Bremsen Sie nicht die Aktionen der Geschäftsführung. Es gehört zu den normalen Aufgaben eines Beirats, sich die Zustimmung zu Entscheidungen vorzubehalten, die außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs liegen, und das Handeln der Geschäftsführung zu beaufsichtigen. Aus diesen Funktionen schleicht sich manchmal die Tendenz ein, Anträge der Geschäftsführung von vornherein erst einmal kritisch zu prüfen. In der Ausnahmesituation einer Krise muss der Akzent aber darauf gelegt werden, dass das Management zu einem proaktiven Vorgehen ermutigt, und nicht gleich einer kritischen Kontrolle unterzogen wird. Rechtzeitiges Handeln ist wichtiger als die optimale Wahl der Vorgehensweise und der Mittel.
- Zeigen Sie Courage in Ihrer Mitarbeit. Es wird leicht unterschätzt, wie wichtig Offenheit und Courage sind, mit der sich jedes einzelne Verwaltungsmitglied in die Arbeit des Gremiums einbringt und daran mitwirkt, welche Themen auf die Agenda gesetzt werden. Eine falsche Zurückhaltung beeinträchtigt die Beiratsarbeit ganz gravierend. (Man kann erleben, dass ein einzelnes Verwaltungsmitglied und sei es der Vorsitzende das Gremium dominiert – sei es verbal oder durch zu emotionales Verhalten – bis zu dem Punkt, dass die anderen Mitglieder sich mit ihren Beobachtungen zur Lage oder Meinungsäußerungen zurückhalten.)
- Bleiben Sie flexibel. Die Annahme, die dem Vorgehen zu Grunde liegen, sollten nicht in Stein gemeißelt sein. Wenn neue Informationen auftauchen, müssen die Handlungsmaximen auch angepasst werden.
Wenn das Krisenmanagement erfolgreich ist – einschließlich der Fähigkeit, „unter Beschuss“ die Ruhe zu bewahren – dann kann dies die Loyalität der Stakeholder und insbesondere den Zusammenhalt der Eigentümerfamilie erheblich festigen. Es ist seltsam, aber doch oft bestätigt, dass wir besonders viel aus schwierigen, kritischen, ja schmerzlichen Ereignissen lernen – und nicht so sehr aus den guten Zeiten, die wir erlebt haben.
Wenn der Beirat in einer Krise nach Kräften das Unternehmen unterstützt, sollte er zugleich darauf achten, dass nichts den Zusammenhalt der Eigentümerfamilie gefährdet. Sollte es etwa erforderlich sein, Maßnahmen zu treffen, die die Eigentümer direkt belasten, müssen diese Fragen äußerst sensibel gehandhabt werden. Wenn es z.B. erforderlich sein sollte, die Gewinnausschüttungen zu kürzen, dann müssen die Gesellschafter so früh wie möglich darauf vorbereitet werden. Dabei sei ihnen zu versichern, dass eine solche Maßnahme nur nach intensiver Prüfung, dass sie unvermeidlich sei, auch tatsächlich beschlossen würde.
Auf die Gesellschafter kommen in Krisenzeiten viel Gesprächsbedarf und Arbeit zu. Und als Gesellschafter hat man nicht wie die Geschäftsführung einen guten Verwaltungsrat über sich, der einem Mut macht. Als Gesellschafter muss man selbst sehen, die Füßen auf dem Boden zu halten und Orientierung zu bewahren, und man muss sich selbst überlegen, was hierfür zu tun ist. So kann man schon einmal mit der guten Regel beginnen, sich für jeden Tag eine feste Zeitspanne vorzunehmen, in der man sich nicht mit dieser Krise oder überhaupt dem Unternehmen beschäftigt (und diese Zeitspanne ist „netto“ festzulegen – ohne die Schlafenszeit mitzurechnen).
Und denken Sie an eines: Auch wenn wir in dieser Krise „soziale Distanzierung“ zu praktizieren haben, müssen Sie mit anderen in Verbindung bleiben. In einer Krise kann es kaum ein Zuviel an Kommunikation geben.
Über die Autoren:
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