13. September 2014

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Was ist mit der Bauqualität passiert?

Die Ende letzten Jahres fertiggestellten Luxuswohnungen der Europaallee wiesen dermassen gravierende Mängel auf, dass sich die SBB als Eigentümerin genötigt sah, sämtlichen Mietern eine Mietzinsreduktion zu gewähren und sich zu entschuldigen für die Mängel, „die leider das übliche Mass übersteigen“. Der Streit um die Baumängel im Letzigrund-Stadium wurde vor ein paar Jahren intensiv medial diskutiert.

BaumnaengelBei Bauherren und Nutzern entsteht der Eindruck, dass die Bauqualität in letzter Zeit stark zu wünschen übrig lässt. Tatsächlich hat eine Untersuchung des HEV im Jahr 2011 ergeben, dass Bauherren bei jedem vierten Neubau- oder Renovierungsprojekt mit den Projektpartnern nicht zufrieden waren. Bei schlüsselfertig gekauften Objekten war die Unzufriedenheit fast dreimal so hoch, in 17.5% der Fälle kam es zu juristischen Auseinandersetzungen mit dem Generalunternehmer (GU).

Eine Untersuchung des Baumeisterverbandes in Zusammenarbeit mit der ETH zeigte 2013, dass ein Gebäude bei Fertigstellung im Schnitt rund 15 erhebliche Mängel aufweist. Dabei handelt es sich nicht um ästhetische Kleinigkeiten, sondern um wesentliche Abweichungen vom Vertrag oder von der Baukunst. Die Folgekosten belaufen sich auf rund 1.6 Mrd. Franken pro Jahr.

Wie kommt es zu dieser Misere, in einer Zeit, in der so viel in die Professionalisierung der verschiedenen Akteure investiert wird? Kosten- und Zeitdruck werden häufig dafür verantwortlich gemacht. Die Baukosten sind jedoch stärker als die Konsumentenpreise gestiegen. Am stärksten haben Vorbereitungskosten zugenommen, also genau jene Tätigkeiten, die zu einer guten Planung und Ausführung beitragen sollten.

 Seit Jahren herrscht insbesondere im Bereich der Eigentumswohnungen Goldgräberstimmung. Viele Architekten, Bauunternehmer und Quereinsteiger versuchen, auf den Zug aufzuspringen. Aufgrund des bisherigen grossen Nachfragedruckes hatten sie auch häufig ein leichtes Spiel mit wenig erfahrenen privaten Hauskäufern. Beim Stockwerkeigentumsverkauf besteht weniger Anreiz, langfristig solide Qualität zu liefern. Auf kurzfristige Gewinne fixierte Projektentwickler konnten Kostenoptimierungen zu Lasten der Bauwerksqualität vornehmen und sich eine „goldige Nase“ verdienen.

Die wichtigste Präventionsmassnahme besteht in der Auswahl der richtigen Fachleute. In erster Linie natürlich des richtigen Architekten, bzw. des richtigen GU. Berufliches Können und Erfahrung sind dabei genau so wichtig wie die stimmige Chemie mit dem Bauherren. Referenzprojekte geben einen guten Eindruck über die Qualität. Zu grosser Druck aufgrund der Angst, eine gute Gelegenheit zu verpassen, ist auf jeden Fall ein schlechter Ratgeber.

Nicht jedes Problem ist jedoch auch tatsächlich ein Mangel. Ein Werkmangel liegt nur dann vor, wenn der geliefert Zustand vom bestellten Zustand abweicht. Der Bauherr tut gut daran, sich genau zu informieren und sich intensiv damit auseinanderzusetzen was er tatsächlich bestellen will. Wenn er seinen Teil der Verantwortung nicht wahrnimmt, muss er sich nicht wundern, wenn das Bauwerk am Schluss nicht seinen Vorstellungen entspricht. Natürlich ist es nicht leicht in der Vielfalt der Materialien, Konstruktionen und Rechtsfragen den Überblick zu gewinnen. Aber auch hier gibt es mittlerweile in Form von Bauherrenvertretern gute Unterstützung für Bauherren, die sich im Umgang mit Architekt oder Unternehmer zu wenig sattelfest fühlen.

Ein grundsätzliches Qualitätsproblem liegt in den Planungs- und Bauprozessen. Gebäude werden nach wie vor meist als Prototypen geplant und gebaut. Erkenntnisse des Prozessmanagements, die in anderen Branchen zu Quantensprüngen geführt haben, finden erst langsam Eingang in Denken und Handeln der Akteure. Mit der heutigen Technologie könnten Gebäude dreidimensional geplant und simuliert werden, was Konstruktionsfehler massiv verringern würde. Der Holzsystembau zeigt, was möglich ist, wenn Systemteile in einem kontrollierten Umfeld vorfabriziert und auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Die auf prozessorientiertem, übergreifendem Denken basierende Lean Construction Philosophie, welche die Industrie revolutioniert hat findet erst langsam Eingang.

Noch viel zu häufig werden Probleme auf der Baustelle nicht gelöst, sondern kostenschonend auf den nächsten Unternehmer abgeschoben. Firmenübergreifende Prozesse werden erst in Teilbereichen gelebt und praktiziert.

Immerhin werden für die Organisation und Führung von komplexeren Baustellen mittlerweile erste Methoden eingesetzt, die in der Industrie bereits mit grossem Erfolg angewendet werden. Interessanterweise handelt es sich dabei nur zu einem kleinen Teil um computergestützte Instrumente. Die grösste Wirkung entfalten Vorgehensweisen, die Personen, Prozesse und Methoden zusammenbringen und für eine intensivere, vertrauensbasierte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnern sorgen.

Die Aus- und Weiterbildung von Architekten und Bauleitern wird sich verstärkt um „weiche Themen“ kümmern müssen, sollen die Bauprozesse wieder schlank und qualitätsorientiert werden.

(Dieser Artikel erschien am 13.9.2014 als Kolumne in der «Neuen Luzerner Zeitung».

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