14. Juli 2013

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Bauen wir heute die Slums von morgen?

Stetig wachsende Bevölkerungszahl, zunehmender Flächenverbrauch, explodierende Verkehrsströme, höhere Energiesensibilität: verdichtetes Bauen ist das Gebot der Stunde! Alle Experten sind sich einig: höher, dichter, urbaner! Landbesitzer, Baubranche und Investoren freuen sich: Mehr Bewohner auf der gleichen Fläche heisst höhere Bodenrente, mehr verbauter Beton, mehr Mietzinseinnahmen. Alle sind glücklich.

Verdichtung_Affoltern

Und die Bewohner? Auch heute noch ist der Wohntraum fast jeden Schweizers das eigene Einfamilienhaus mit Garten, obwohl dieses in wirtschaftlich stärkeren Regionen für die meisten finanziell in weite Ferne gerückt ist. In der heutigen, für die meisten Menschen sehr anforderungsreichen, oft hektischen und fremdbestimmten Welt ist es tatsächlich so, dass der wahre Luxus nicht mehr in monetären Werten, sondern in der Verfügbarkeit von Zeit, Raum, Ruhe und Privatheit liegt. Die in den letzten Jahren starke Betonung von Rationalität, Ökonomie, Individualität und Urbanität führt zu einer Gegenbewegung und einer verstärkten Sehnsucht nach Emotionalität, Spiritualität, Ökologie und Gesellschaft. Neue Trends wie „Urban Gardening“ aber auch die Abstimmungsresultate zu raumplanerischen  Themen der letzten zwei Jahre sind ein klarer Ausdruck dieses Unbehagens.

Die aktuelle Diskussion in der Bauwirtschaft insbesondere auch im Zusammenhang mit Verdichtung dreht sich häufig um die Fragen nach Ausnützungsziffern und Hochhäuser und ist damit stark rational geprägt. Diese Diskussion läuft letztlich ins Leere. Mehr desselben bedeutet in der Regel nicht mehr, sondern weniger Qualität.

Wieso fühlen wir uns in der verkehrsfreien Altstadt wohl? Sind es die Plätze, wo man sich trifft,? Ist es das Leben, das in den Erdgeschossläden und Restaurants stattfindet und sich in den Aussenräumen fortsetzt? Ist es die Durchmischung von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen, die dafür sorgt, dass die Gegend immer belebt ist? Ist es das Nebeneinadner von verschiedenen Baustilen, alt und neu, grau und grün? Offensichtlich ist es die Kombination dieser Faktoren, die Quartiere attraktiv macht. Das Fehlen davon führt zu Verödung und Langeweile.

Entscheidend ist die qualitative Verdichtung. Relevant ist nicht, wie möglichst viele Wohnungen und Arbeitsplätze auf einer Fläche untergebracht werden können, sondern wie dafür gesorgt werden kann, dass möglichst viel Leben und Durchmischung entsteht. Nicht die Frage nach Ausnützungsziffern und Gebäudehöhen, sondern die Gestaltung und Organisation von Plätzen, Achsen, Grünräumen und Erdgeschossnutzungen müssen im Vordergrund stehen. Forderungen nach freier Zugänglichkeit der obersten Geschosse von Hochhäusern, damit auch der „normale Bürger“ die Aussicht geniessen kann, sind vielleicht medienwirksam, bringen aber letztlich nichts. Das Leben findet auf der Strasse, im Erdgeschoss, auf den Plätzen statt. Vereinbarungen, über die Nutzung der Erdgeschossflächen und deren Vermietungen zu günstigeren Preisen sind wesentlich zielführender. Sie ermöglichen die Ansiedlung von Cafés, Ateliers, Läden und Treffpunkten, die zwar nicht die höchsten Mieten zahlen können, dafür aber Leben ins Quartier bringen.

Verdichtung ist immer auch Stadt- und Quartierentwicklung und geht deshalb über die einzelne Parzelle hinaus. Es ist nicht damit getan, dass an der Urne über Bebauunsgspläne und Ausnützungen entschieden wird. Vielmehr geht es um die Frage, wie sich ein Quartier entwickeln kann, damit es für die Bewohner zur Heimat wird. Die Antwort darauf ist nicht eine technische, sondern vor allem eine emotionale. Dies bedingt intensive Kommunikation und Einbezug aller Beteiligten. Die Rolle des Gemeinwesens ist dabei diejenige des Motivators, Moderators und Ermöglichers. Auf diese Weise entstehen in intensiver Auseinandersetzung Ideen und Lösungen und werden unterschiedlichste Interessensgruppen aktiviert.

Selbstverständlich hat der Investor ein gewichtiges Wort mitzureden. Aber attraktive, lebendige Quartiere gehen nicht zu seinen Lasten, selbst wenn er darauf verzichtet, in bestimmten Teilen den maximal möglichen Mietzins zu verlangen. Im Gegenteil: Leben im Quartier steigert die Attraktivität und damit auch seine Rendite. Insofern kann man hoffnungsvoll auf den in Cham gewählten kooperativen und öffentlichen Weg zur Entwicklung des frei werdenden Papieri-Areals blicken. Es bleibt zu hoffen, dass das Beispiel Schule machen wird. Nicht nur bei Neuentwicklungen, sondern auch zur Weiterentwicklung bestehender Quartiere.

(Dieser Beitrag erschien als Kolumne in der «Zentralschweiz am Sonntag»)

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Kommentare

2 Kommentare

Herrr Mayser

12. August 2013

Solche Blöcke müssen doch nicht aussehen wie in den 60 Jahren, auch diese kann man außergewöhnlich bauen und ringsherum schön begrünen. Natürlich befürworte ich auch keine 10 Stockwerke, aber 4 Stockwerke finde ich zum Beispiel ok. Und wer es sich leisten kann, zieht eben in ein Häuschen oder in eine Eigentumswohnung.

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Marcel Fliss

21. Juli 2013

Der Bericht trifft meines Erachtens den Nagel auf den Kopf! Man muss sich nur die neuen Überbauungen in und um Sursee vor Augen halten: Haselwarte, Leopold... Geboren um in Anonymität, Langeweile und Bedeutungslosigkeit unterzugehen. Aber die Investoren freut's. Zumindest für die nächsten 15 - 20 Jahre. Und danach kann man sich ja absetzen, irgendeine soziale Organisation wird dann sicher noch Verwendung für die bis dahin dem Verfall preisgegebenen Immobilien haben. Meine Meinung; auf längere Zeit ist das Konzept der Verdichtung aus Gründen der Lebensqualität zum Scheitern verurteilt. Ein Anspruch auf Lebensqualität hat ein jeder! In Zukunft müssen andere Strategien und Konzepte auf den Tisch. Und die öffentliche Hand hat hierzu einen wichtigen regulatorischen Auftrag! Auch hier ist es wieder einmal offensichtlich, dass alleine der Markt dies nicht in sinnvoller Weise zu regulieren vermag!

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