Fünf Vorschläge zur Revision der schweizerischen Ikonografie

Ob der Nationalfeiertag begangen wird, die City Vereinigung Zürich einen Event veranstaltet, eine Hochschule für sich wirbt, die Eishockey WM oder die Leichtathletik EM ein Maskottchen brauchen, Milch, Käse, Schokolade oder ein Souvenir an Touristen zu verkauften ist – bei vielen Anlässen und Gelegenheit hat die Schweizer Kuh, das geduldige Symboltier des Landes, seinen Auftritt. Die alpine Bergwelt, Heidi, das Schweizerkreuz und auch das Edelweiss sind weitere strapazierte Symbole, wenn es gilt, dem Land nach innen und aussen ein Gesicht zu geben. Sie haben ihre je eigene, teils weit zurückreichende Geschichte, in der sich Bedeutungen immer wieder verschoben und wandelten.

Dennoch stellt sich die Frage, ob diese traditionellen Bildsymbole die Schweiz gegenwärtig noch treffend definieren. Oder ist – mit Peter von Matt – eine ‚Notlage’ der nationalen Ikonografie zu diagnostizieren? Da die Gestaltung von Bildsymbolen zur Domäne von Künstlern und Designerinnen gehört, luden wir sechs GestalterInnen aus der Schweiz und aus Deutschland zu einem experimentellen Entwurfsprojekt ein und stellten folgende Fragen zur Diskussion:

Welche Symbole können die zeitgenössische Schweiz als kulturellen und politischen Raum kommunizieren?
Mit welchen gestalterischen Mitteln und Strategien lässt sich dies erreichen?

Nach einem Jahr der Zusammenarbeit präsentieren wir hier die Antworten von:
Nicole Benz, Uster
Nic Hess, Zürich
Ulrike Prange, Frankfurt am Main
Joëlle Stocker & Susanna Zopfi, Zürich
Sibylle Stöckli, Lausanne

 

Zum Kontext des Entwurfsprojekts

Das experimentelle Gestaltungsprojekt ist ein Teil des Forschungsprojekts „Bildsymbole der Schweiz. Entwurf im Souvenir“, das an der Hochschule Luzern – Design & Kunst in der Forschungsgruppe ‚Visuelles Erzählen’ von 2012 bis 2014 durchgeführt wurde. Das Hauptprojekt hatte zum Ziel, Reiseandenken aus rund 200 Jahren Schweizer Tourismusgeschichte aus einer diachronen Perspektive zu erforschen und eine Datenbank mit historischen und zeitgenössischen Schweizer Souvenirs aufzubauen. Der Fokus lag hierbei auf der historischen Entwicklung von Souvenirindustrie und Souvenirdesign.

Parallel dazu wurden ausgewählte Bildsymbole, die gemäss dem Selbst- und Fremdbild mit der Schweiz eng assoziiert sind – die alpine Bergwelt, die Kuh, das Schweizerkreuz, die Romanfigur Heidi und das Edelweiss – auf ihren Ursprung sowie ihre sich wandelnde Bedeutung hin untersucht. Allen diesen Bildsymbolen ist gemeinsam, dass sie beim Destinations-Marketing und als Souvenirmotive bis heute häufig eingesetzt werden, denn Touristen sehen die Stereotype, die sie mit einer Destination verbinden, gerne bestätigt. Aber auch in den Massenmedien, bei Events, Ge- und Verbrauchsgütern, die sich an die schweizerische Kundschaft wenden, werden die „klassischen“ Zeichen gerne aufgegriffen. Geht man gemäss der Erkenntnisse der Bildwissenschaften davon aus, dass Bilder und Bildsymbole Emotionen hervorrufen und das Denken und Handeln lenken, so dürfte dieser oftmals klischeehafte Rückgriff und auch die konkrete Ausgestaltung der Zeichen zur Zementierung eines Schweiz-Bildes beitragen, das allenfalls einen Ausschnitt aus der gegenwärtigen Realität des Landes widerspiegelt. Entsprechend hatte – um nur eine prominente Stimme zu zitieren – Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss bereits 1998 festgestellt, dass die Schweiz neue Visionen und Selbstbilder bräuchte. Das Entwurfsprojekt stand daher nicht zuletzt unter der Prämisse, Impulse zu einer Revision und Innovation der schweizerischen Bildsymbolik zu geben.

Ziele des Entwurfsprojekts

Mit dem Gestaltungsprojekt verbinden sich verschiedene, sowohl ausserwissenschaftliche als auch wissenschaftliche Zielsetzungen.
Erstens sollen die entstandenen Entwürfe – im Sinne eines ‚broader impact’ des Forschungsprojekts – die öffentliche Diskussion über die klischeebehaftete Bildsymbolik der Schweiz anregen und auch erste Vorschläge zu ihrer Revision liefern. Hierzu dienen die Ausstellung und die Publikation der fünf Arbeiten von Nicole Benz, Nic Hess, Ulrike Prange, Sibylle Stöckli sowie Joelle Stocker & Susanna Zopfi, über die dieser blog hier fortlaufend informieren wird.
Zweitens ermöglichte das Entwurfsprojekt ein Ausloten von Ansatzpunkten für gestalterische Innovationen: Kann die bestehende Bildsymbolik durch den Einsatz überraschend neuer Stilmittel, Methoden und Strategien aktualisiert werden? Oder bedarf es neuer, unverbrauchter Bildmotive? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden vorab auf induktivem Wege Hypothesen zu gestalterischen Innovationsstrategien und Wirkmitteln aufgestellt und in einem Raster abgebildet. Bei mehreren gemeinsamen Workshops des Forscherteams mit den GestalterInnen diente dieses Raster – neben den Forschungsfragen – dem Briefing für die Entwurftätigkeit. Die entstandenen Arbeiten geben auf die Fragen implizit Antwort und dienten der Validierung und Fortschreibung des Rasters.

Ein vorläufiges Resümee

Im Hinblick auf die Inhalte, die die Schweiz repräsentieren könnten, griffen alle Künstler und Designerinnen als Vehikel für ihre Aussage bekannte Symbole, Objekte oder Themen des Landes auf: das Bergmotiv (Benz), die Topographie des Landes (Hess), die Landesmutter Helvetia (Prange), originäre Objekte der Alltagskultur (Stocker & Zopfi) sowie die Konkordanz (Stöckli). Im Hinblick auf die von den Künstlern und Designerinnen eingesetzten gestalterischen Wirkmittel und Strategien ist zu konstatieren, dass die bei existierenden Souvenirs und Meta-Souvenirs identifizierten Mittel und Strategien nicht verwendet wurden. Benz, Prange und Stöckli wählten einen partizipativen Ansatz, während Hess wie auch Stocker & Zopfi mit Readymades bzw. Presets, d.h. mit verschiedenen Kontexten entnommenen Zeichen, arbeiteten.

Obgleich mit fünf Arbeiten nur Schlaglichter auf mögliche Ansätze zur Revision und Innovation der schweizerischen Bildsymbolik gesetzt werden konnten, erscheint aus der Perspektive der Designforschung dennoch dreierlei exemplarisch und somit für zukünftige ähnliche Vorhaben erhellend: Erstens zeigt die Wahl der verschiedenen Referenzen, dass die in den Arbeiten aufscheinenden Bildsymbole und Inhalte in keinem Fall ex nihilo gesetzt wurden. Geht es beispielsweise, wie bei Benz, um eine neue Aussage, so wurde diese mit einem – freilich nur auf den ersten Blick – vertrauten Zeichen kommuniziert. Wird, wie bei Stöckli, ein neues Zeichen gesetzt, so versinnbildlicht dieses einen bekannten Inhalt. Die Zeichen und Inhalte lassen sich in jedem Fall über eine Bedeutungskette auf ‚die Schweiz’ zurückführen, ohne dabei in die Nähe gängiger Klischees zu geraten. Obwohl die semantische Kette nicht immer geradlinig verläuft und die GestalterInnen ihren Spielraum für Umdeutungen und Ergänzungen nutzten, so liegt, und dies ist der zweite Punkt, das grössere Potential zur Innovation der Bildsymbolik dennoch in der Wahl der gestalterischen Wirkmittel und der Erfindung neuer Ausdrucksweisen und Vermittlungsstrategien. Um drittens die methodische Anlage des experimentellen Entwurfsprojekts anzusprechen, sind – im Unterschied zu Projekten, bei denen eine Person die Doppelrolle des Designer-Forschers einnimmt – neben der Formulierung des Briefings auch Textlektüre und Diskussion notwendig für die Herstellung eines gemeinsamen Verständnishorizonts aller Beteiligten. Zugleich muss bei einer Fragestellung wie der hiesigen den GestalterInnen ein grosser Interpretationsspielraum gegeben werden, da sich nur so ihre Arbeiten beforschen und die eingangs gestellte Forschungsfrage beantworten lassen.

Oktober 2014, Dagmar Steffen